Zwischen Expressionismus und Nationalsozialismus
Zwischen Expressionismus und Nationalsozialismus
Die deutsche Literatur in den 20. Jahren des 20. Jahrhunderts
Schon um 1920 ist nicht zu übersehen, dass der Expressionismus sich geistig und künstlerisch erschöpft. Seine menschlichkeitsverbessernden Ideen sind zu wage und zu subjektiv zersplittert. Seine Kunstlehren wirken vorwiegend auflösend. In der Erzählkunst herrscht das Experiment. In der Lyrik führt der Wille das Subjekt sich unmittelbar ausdrücken zu lassen, zu dem berüchtigten expressionistischen Schrei.
Die grossen dramatischen Könner: Karl Sternheim und Georg Kaiser, werden nicht als typischen Expressionisten empfunden, um so mehr die extremen Dogmatiker. Sie begnügen sich mit der lyrischen Rhetorik ihres expressionistischen Heldes. Sie versäumten die feste Szenengestaltung und lösten den Dramenbau in filmische Bildfolgen auf.
Die Expressionisten hören jetzt auf, die junge Generation zu sein. Sie revidieren sich, sie wandeln sich, manche gehen tragisch zu Grunde. In der neuen jungen Generation hebt seine Reaktion gegen den Expressionismus an, die an Breite und Entschiedenheit mit der Reaktion gegen den Naturalismus verglichen werden kann. Nur ist sie durch die zugespitzte Situation radikaler. Der betonte Optimismus des Expressionismus kann jetzt in einen betonten Pessimismus umschlagen. Dem expressionistischen Entusiasmus stellt sich eine kühle Sachlichkeit entgegen. Sie begnügt sich teilweise mit einer negativen Bestandsaufnahme. Sie steigert sich aber auch zum betonten modernen Nihilismus. Doch ist die bloss verneinende Reaktion keine echte auf die Dauer tragbare Erlösung.
Persönliche Halungen und Lösungen werden teils durch Anschluss an die Tradition, teils durch Erschliessung neuer Wirklichkeiten versucht. Wie auf der einen Seite der Zug zum Negativen, verstärkt sich auf der anderen der Zug zum Possitiven.
Näher als zuvor wird jetzt das gesamte geistige Geschehen der letzten 2 Jhr. überprüft, um zu letzten festen Antworten zu gelangen. Hier sind zwei entgegengesetzte Antworten möglich. Die eine Antwort gibt der Marxist: das Übel der Zeit ist, dass der Mensch den Weg zum Menschen, zum irdischen Paradies, noch nicht zu Ende gegangen ist. Die andere Antwort gibt der religiöse Mensch: seit dem 19. Jhr. hat der Mensch Gott und damit den wahren Seingrund preisgegeben, die Schuldisation des 19. Jhr. muss rückgängig gemacht werden. Die Dichtung muss wieder im Raum einer durch die Religion geordneten und geklärten Welt stehen.
Der Naturalist wollte noch vor allem Kunst und Dichtung reformieren. Im Expressionismus dominierte schon der Wille zur Menschenreform. In der nachexpressionistischen Dichtung herrscht die weltanschauliche Dichtung vor. Der Kunstwerk ist jetzt eine Folge, nicht das erste Ziel. Auch wo der Dichter die feste kunstlerische Form pflegt, ja steigert, liegt der Grund in Weltanschaulichem. Durch das Kunstwerk soll etwa Kosmos und Chaos gestaltet werden. Die Gattungen verlieren dadurch an Eigenbedeutung. So wird das Urteil erschwert, dass sich bisher an der Leistung in der Gattung orientieren konnte. Man kann jetzt oft nur feststellen, welche Haltung und Gesinnung der Autor vertritt und auf welchem geistigem und literarischem Niveau. Es werden Dichter unterschätzt, die im Traditionszusammenhang weiter dichten. Dagegen solche Autoren überschätzt, die entweder durch die literarische Kritik zu den Exponenten des Zeitgeistes gemacht werden, oder die sofort mit dem Anspruch auftreten, solche Exponenten zu sein.
Ein kritisches Bild der Zeit und ihrer Menschen zu geben, ist stets eine bevorzugte Aufgabe des Romans gewessen. Es ist nie ein fest und fertig geprägtes Kunstwerk geworden, sondern stets ein Gefäss für universale Mitteilung geblieben, die auf sehr viel verschiedenen Weisen gesucht und versucht werden kann.
Fast gleichzeitig mit den antinationalistisch angagierten Expresiven und Dadaisten, entstand eine neue Literatur, deren kunstlerische Möglichkeiten, von der grellen Tatsachenreportage, bis zur heiteren Satire von der neuen Sachlichkeit bis hin zu einer erneuten Hingabe an Spuk, Magie und Traum reichten. So kann man also nicht sagen, die eine Art Literatur habe die andere abgelöst.
Auch eine Einordnung der verschiedenen, ausserhalb des Expressionismus angesiedelten Autoren nach Landschaften, gibt wenig her. Egon Erwin Kisch (1885-1948) komunistisch angagierter Abenteuerer und Begründer der gesellschaftskritischen Reportage als Literaturform (z.B. sein Buch ”Der rasende Reporter” /1925/) war ebenso trager, wie sein literarischer Antipode Franz Kafka, der Meister kalten Groteske.
Allerdings muss man zugeben, dass vor allem der Raum zwischen Wien und Prag, also der Einflussbereich der untergehender Donaumonarchie Österreich-Ungarn zum Nährboden grosser literarischen Einzelgänger wurde. Zu diesem Raum gehören unverkennbar, nicht nur geographisch, sondern auch intelektuell die Erzähler: Robert Mussil, Herman Broch, Heimito von Doderer, Joseph Roth.
Zur literarischen Szenerie der 20. und 30. Jhr. zählen auch so vielfältige und verschiedene Talente wie: Leon Feuchtwanger (1884-1958) und Alfred Neumann (1895-1952), die beiden Protagonisten des modernen historischen Romans wie Erich Maria Remarque (1898-1970), dessen aufrückelnder, feselnder, Antikriegsroman ”Im Westen nichts Neues” /1929/, verfilmt 1930, zu einem Welterfolg wurde, geschätzte Gesamtauflage über 10 Mil. Bücher, wie der virtuose Erzähler Hans Fallada (1893-1947), dessen populär unterhaltsame Romane ”Kleiner Mann, was nun” /1932/, ”Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” /1934/, auch nach dem 2. Weltkrieg immer wieder aufgelegt wurden.
Das Pathos der Expressionisten wurde nie Kafkas Sache. F.K. und seine Pragerfreunde haben die Fundamente gelegt, auf denen die Autoren der neuen Sachlichkeit dann weiter bauen konnten. Der Begriff neue Sachlichkeit tauchte zuerst in der bildenden Kunst auf. Auf die Literatur wurde dieser Begriff erst später angewandt.
1929 erschien die 1. neusachliche Antologie, die freilich selbst diesen Titel nicht für sich reklamierte ”24 neue deutsche Erzähler”, herausgegeben von den Schriftsteller und Verlagsleiter Hermann Kesten. In seinem Vorwort zu dieser Textsammlung verzichtet K. auf alles pathetisch- programatische. Nur spezielle, reale Erfahrungen sollen die Autoren einigen, kein Erlösungsprogramm, kein Erweckungsvorhaben. Nach dem expressionistischen Rausch und Verkündigungsdrang wirkt diese fast pragmatisch-pluralistische Definition von Literatur wie eine kalte Dusche. K. will die jungen Nachkriegsleute vorstellen und umschreibt ihren Lebensgefühl mitgezeichnete einer Zeit.
In den weiteren Umkreis einer Sachlichkeit gehört der Satiriker und Kritiker Kurt Tucholsky (1890-1935), dessen unfromme ”Fromme Gesänge” /1919/ unter dem Pseudonym Teobald Tiger. Reisebücher, Fejtons und Literaturkritiken witzig entlarven, desolusionieren, pazifistisch agitieren, ein grosser Meister der kleinen Form, des Chansons, der kurzen Erzählung, der gepfeferten Polemik.