Zum Leben und Schaffen von Hermann Hesse

Zum Leben und Schaffen von Hermann Hesse

Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw (Württemberg) geboren und am 9. August 1962 in Montagnola (Tessin) gestorben. Der Sohn eines deutsch-baltischen Missionspredigers und einer schwäbisch-schweizerischen, in Ostindien geborenen Missionarstochter verlebte seine Kindheit in Calw und Basel, besuchte 1890 die Lateinschule in Göppingen, legte 1891 das „Landexamen“ ab, entzog sich aber der theologischen Laufbahn im nächsten Jahr durch die Flucht aus dem Evangelisch-theologischen Seminar im ehemaligen Kloster Maulbronn (Unterm Rad, 1906). Der Aufenthalt in verschiedenen Sanatorien (Bad Boll, Stetten, Basel) löste eine harte Auseinandersetzung mit dem pietistischen Elternhaus aus, die mit einem Nervenzusammenbruch des sensiblen Jungen endete. In den Jahren 1893 – 1903 versuchte sich Hesse als Gehilfe seines Vaters, Mechaniker in einer Turmuhrenwerkstatt in Calw, Buchhändlerlehrling, Sortimentsgehilfe und Antiquar in Tübingen und Basel. 1904, nach dem ersten Bucherfolg (Peter Camenzind), wurde er freier Schriftsteller, lebte bis 1912 in Gaienhofen am Bodensee und zog nach einer Indienreise nach Osternmundingen bei Bern. Während des 1. Weltkriegs war er in der deutschen Gefangenenfürsorge tätig und redigierte Sonntagsblätter für deutsche Kriegsgefangene. 1919 zog Hesse nach Montagnola bei Lugano.
Das in der Tradition der deutschen Romantik und Klassik stehende Werk Hesses, das durch die Begegnung des Dichters mit der Welt der Psychoanalyse und der altchinesischen Weisheit wesentlich geprägt wurde, spiegelt die vielfachen inneren Konflikte und Wandlungen des Verfassers wider. Sein Gehalt wurde durch die spezifische Auslegung der europäischen Krise bestimmt, die nach Hesse in der seelischen Ermündung des abendländischen Menschen bestand. Die Überwindung der Krise und die Welterneuerung sei nur auf „innerem Wege“ durch die Umdeutung uns Neubewertung aller Seeleninhalte möglich. In Übereinstimmung mit dieser Ansicht weisen fast sämtliche Prosaerzählungen Hesses, die den Prozess der Menschwerdung schildern, die Form der „Seelenbiographie“ auf, die in ihrem Aufbau auf die Bekenntnishaften Schriften des Pietismus zurückgeführt werden kann. Obwohl die genannten thematischen und strukturellen Konstanten von Hesses Prosa erst nach dem 1. Weltkrieg zur vollen Ausprägung gelangen, sind sie bereits in seinem Frühschaffen, etwa in dem gefühlsbetonten Entwicklungsroman Peter Camenzind (1904) nachweisbar. Nach stimmungsvoll neuromantischen Anfängen und wehmütigen Schilderungen des Kleinstadtmilieus gelang Hesse 1919 mit dem Roman Demian der Durchbruch zu einer aussagekräftigen und souveränen Schreibweise. Das in diesem Roman aufgegriffene Thema der Selbstfindung des Menschen wurde in den Erzählungen Kinderseele, Klein und Wagner, Klingsors letzter Sommer (1920) und vor allem in der indischen Dichtung Sidhartha (1922) fortgeführt, deren Held am Ende seines erlebnisreichen Läuterungsweges zur Einheit findet und die Lehre der tätigen Liebe verkündet. 1927 entsteht Hesses Krisenbuch Der Steppenwolf. Die Zwiespalt zwischen Geist und Sinnlichkeit, die in zwei polare Gestalten transportiert wird, bestimmt den Handlungsablauf in dem mittelalterlichen Roman Narziss und Goldmund (1929/30). Den Höhepunkt bildet das große zeitkritisch-utopische Buch Das Glasperlenspiel (1943), das alle Motive von Hesses Werk in einem universalen geistigen Raum aufnimmt. Es stellt den Lebenslauf Josef Knechts dar, der als Novize im geistigen Ordensstaat Kastalien heranwächst, zum höchsten Würdenträger des Ordens aufsteigt und zum Schluss aus der Welt des Geistes ausbricht, um für seinen Zögling den Opfertod zu sterben.
Hesse, dessen Werk vielfach ausgezeichnet wurde (Nobelpreis für Literatur 1946), begeisterte in den 70er und 80er Jahren die Nachvietnamgeneration, wurde zum Heiligen der Psychodelics und Hippies der amerikanischen Protestbewegung und gilt heute als „meistgelesener europäischer Autor unseres Jahrhunderts.“