Mädchenbuch(Theorie) NJ
Mädchenbuch
(Theorie)
Adressatenkreis und Zielgruppe sind junge Mädchen von etwa 9 bis 16 Jahren. Bekannt ist
die Absicht, den weiblichen Lesern als Publikum zu gewinnen, erfolgreich: Mädchengeschichten
finden sein eher und je ihre Leserinnen. Laut einer Infratest – Medienforschung steht im Bereich der
erzählenden Literatur das Mädchenbuch in der Altersgruppe der 6 – 17jähringen hinter dem Abenteuerbuch
(34 %) auf der Beliebtheitsskala mit 28 % an zweiter Stelle.
Mädchen sind nicht nur Adressaten, sondern in der Regel auch die Hauptfiguren des Mädchenbuches.
Es will zeigen, wie sie die Welt betrachten und erleben, will die besonderen Interessen
und Wunschvorstellungen den Mädchen berücksichtigen, ihre Rollenfunktion in Familie, Schule
und Beruf ansprechen und auch die Schwierigkeiten und Probleme der Heranwachsenden aufgreifen.
Die Darstellung von Mädchengestallten trifft auf ein ausgeprägtes Interesse der jungen Leserin,
auf das Bedürfnis, sich mit dem eigenen Person zu befassen und über sich selbst zu reflektieren.
Auch der Junge sucht, vor allem mit beginnender Pubertät, über die Lektüre den Zugang zu eigener
Person, er tut dies aber nicht mit der gleichen Intensität wie das Mädchen, das Geschichten über
seinesgleichen interessant findet, selbst dann, wenn die äußere Handlung in einer räumlich recht
engen Welt und ohne sonderliche Dramatik verläuft. Die Leserin projiziert dabei ihre subjektiven
Vorstellungen und Wünsche in die dargestellten Personen, sieht in vielen Erzählungen ihr eigenes
Fühlen, Denken und Wollen bestätigt und glaubt sich weitgehend mit der Buchheldin identisch.
Umgekehrt können von Mädchenbuch – bedingt durch die ausgesprochen ichbezogene Lesehaltung
des Mädchens einerseits und durch die mädchenspezifische Inhalte andererseits – neben dem Anstoß
zur Eigenbetrachtung besonders wirkungsvolle Impulse der Verhaltensverstärkung und Verhaltensänderung
ausgehen.
Kritik am Mädchenbuch
Die Existenz des Mädchenbuchs reicht bis zu den Anfängen der Jugendliteratur in der Aufklärung
zurück. Im 19. Jahrhundert eroberte es sich im Gesamtschrifttum der Jugend als eigene Gattung
einen festen Platz. Die Produktion von Mädchenbüchern hat seither angehalten. Angehalten
hat aber auch die Kritik. Es gab bis vor wenigen Jahren kaum einen anderen jugendliterarischen
Bereich – die Comics vielleicht ausgenommen, der so im Kreuzfeuer der Meinungen stand.
Die Kritik kann beruhen auf der Feststellung einer überwiegend geringen literarischen Qualität, auf
dem leitbildhaften, streng konservativen bzw. allzu einseitig-positiven Familie und Gesellschaft.
Heute existiert längst auch ein anderer Typus von Mädchenbuch, der sich in manchen Punkten vom
herkömmlichen Mädchenbuch unterscheidet und die umfassende negative Kritik nicht mehr rechtfertigt.
Die Unterschiede liegen namentlich in der Auffassung über Anthropologie und Rolle des
Mädchens, in einer umfassender Sicht der Lebenswirklichkeit, in der größeren Breite der Thematik
unter Einbeziehung von bisher oft geflissentlich vermiedenen Problemen und nicht zuletzt in der
literarischen Bearbeitung des Stoffes.
Frauenbild und weibliches Rollenverständnis im Mädchenbuch
Ein eigens für das Mädchen hergestelltes Buch – so die Kritik- sei überflüssig, ja sogar
schädlich, wenn es weiterhin durch überbetonte Differenzierung der Geschlechter und durch ständiges
Nachzeichen des traditionellen Frauenbildes überholte Vorstellungen fixieren helfe. Tatsächlich
ist immer noch in einer Reihe von Texten ein weibliches Rollenbild erkennbar, das früher unangefochten
war, heute aber der kritischen Reflexion und Korrektur bedarf.
Manche Darstellungen legen sich gerne auf ein Mädchenbild fest, das Eigenschaften und
Verhaltensweisen zeigt, die zwar nicht aus der Luft gegriffen, sondern beim Mädchen feststellbar,
oder jedenfalls leicht provozierbar sind. Letzten Endes wird aber dabei ein Verhalten zum Modelfall
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erklärt, dass sich auf zweifelhafte Eigenschaften, wie Koketterie, Eitelkeit, übertriebene Selbstbespiegelung,
Exaltiertheit, Wichtigtuerei in Oberflächlichem und Nichtigem, Gefühlsüberschwang
usw. konzentriert, bei heranwachsenden Mädchen vor allem Unselbständigkeit und Anpassungsbereitschaft
zum dominierenden Charakterzug erklärt. So werden alte Vorurteile weitertransportiert
anstatt sie durch eine revidierte Zeichnung des Mädchen- und Frauenbildes zu korrigieren. Es ist
allerdings nicht zu übersehen, dass in vielen Titeln der neueren Produktion eine veränderte Einstellung
zu Rolle und Aufgabe der Frau und zu ihrer Position in der Gesellschaft Fuß gefasst hat und
dass manche Autorinnen mit Engagement an einer Alternativliteratur zur tradionellen Mädchenliteratur
arbeiten. Mädchen und junge Frauen nehmen zunehmend auch die Position der Hauptfiguren
in abenteuerlichen Geschichten ein.
Lebenswirklichkeit im Mädchenbuch
Die Kritik am traditionellen Mädchenbuch geht auch von der Feststellung aus, dass die Lebenswirklichkeit
allgemein und die der Mädchen in besonderen verzeichne. Das trifft in hohem
Masse für die „Backfish“ und „Töchterliteratur“ des 19. Jahrhunderts und ihre bis heute existierende
Nachkommenschaft zu. Man gibt zwar vor, dass Leben zu zeigen, wie es wirklich ist, baut aber
tatsächlich eine Pseudowirklichkeit auf, die einem Vergleich mit objektiver Gegebenheit nicht
standhält. Pseudowirklichkeit liegt vor, wenn einseitig die „gehobene Gesellschaft“ dargestellt wird
bzw. wenn die Tendenz zu „etwas Besserem“, das Streben nach Zugehörigkeit zu den Gruppen mit
Prestige oder wenigstens nach Teilnahme an ihren Lebens- und Vergnügungsgewohnheiten dominieren.
Die Backfishe und Teenager der Erzählungen gehen häufig einen leichten Weg zu Erfolg
und Glück. Das happy end stellt sich zwangsläufig ein, oft ohne wesentliche Einstellung und durch
glückliche Zufälle.
Für zahlreiche Mädchenbücher der Gegenwart gilt der Vorwurf der Wirklichkeitsverniedlichung
oder -entstellung tatsächlich nicht mehr. Ihre Autorinnen nehmen die Forderung ernst, die
Welt der Märchen nicht einseitig zu zeichnen. Literarisches Leitbild der zeitgemäßen Mädchenlektüre
ist das realistische, d. h. – der kritischen Entwicklungslage des reifenden Mädchens entsprechend
– das weitgehend problemorientierte Mädchenbuch.
Themen
Der Themenkreis der Selbstfindung und Autonomie ist im modernen Mädchenbuch nicht
mehr nur ein Problem der individuellen Reifung, sondern auch ein Problem der Verselbstständigung
und Gleichberechtigung der Frau. Dass in der gleichen Zeit in der das junge Mädchen mit Entscheidendheit
sich freizumachen sucht, es sehenssüchtig nach Geborgenheit, Bindung und Liebe Ausschau
hält, macht die ganz besondere Schwierigkeit dieser Lebensphase aus. Die sich ergebenden
Konflikte spielen sich vorwiegend im innerfamiliären Feld ab, greifen aber auch auf die neuegeschlosennen
Freundschaften und Liebesbeziehungen über.
Das Thema Liebe und Freundschaft zwischen Jungen und Mädchen wird manchmal auch
schon im Kinder-Mädchenbuch aufgegriffen, so z. B. in Peter Härtlings „Ben liebt Anna“. In vielen
Texten wollten Autorinnen und Autoren zeigen, wie sich das Verhalten der Geschlechter zueinander
geändert hat, wie sich heranwachsenden Mädchen von heute selbstsicherer und manchmal auch
aktiver und entschlossener geben, als ihre Geschlechtsgenossinnen im herkömmlichen Mädchenbuch.
Die Entschlossenheit besteht nicht immer in sexueller Bereitschaft, schon gar nicht in
schneller „Hingabe“. Das würde ja auch dem Bild des selbstsicheren und eigenständigen Mädchens
nicht entsprechen. Seine Initiative richtet sich in der Mehrzahl der Erzählungen darauf, in einem
allmählichen Prozess sich über den anderen, über die eigenen Gefühle und Antriebe und nicht zuletzt
über die Frage „Was ist Liebe?“ klar zu werden.
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Andere Erzählungen zeigen nicht nur, was der junge Mensch in solchen Situationen empfinden,
sondern auch wie man damit fertig werden muss, insbesondere dann, wenn sich die Liebe als
Irrtum oder als einseitige Beziehung herausstellt.