Jazykoveda NJ 56
Stilistik und Nachbardisziplinen
In der Linguistik ist der Stylbegriff sowohl für die Langue (grammatisches Regelsystem) als auch für die Parole (jede Sprachäußerung): für die Langue, weil Stylerscheinungen Systemcharakter haben, für die Parole, weil Einzeläußerungen sich auf der Grundlage ihres Stils von anderen unterscheiden lassen. Mit der Textlinguistik hat die Stilistik zunächst den Gegenstand gemeinsam: während die Textlinguistik die Textkohäsion untersucht („Was macht einen Text zum Text?“), untersucht die Stilistik die spezifischen Wirkungen von Stylmerkmalen auf den Rezipienten („Wozu ist dieser Text so gestaltet?“).
Die Literaturwissenschaft bedient sich lange schon stylanalytischer Verfahren (z. B. im Nachweis von Stylfiguren), in jüngerer Zeit begreift man auch Strukturstudien als stilistisches Vorgehen. Praktisch angewandt werden die Ergebnisse der Stilistik in der Sprachdidaktik (Bewertungskategorie „Stil“ und „Ausdruck“ in Schulaufsätzen und Lehre von den Darstellungsarten). Von der Rhetorik unterscheidet sich die Stilistik darin, dass sie nicht auf die unmittelbare Anwendung ihrer Ergebnisse zielt. Die Stilkritik dagegen unterscheidet sich von der Stilistik darin, dass sie als Verfahren einer Bewertung von Texten dient.
In den letzten Jahrzehnten sind mehrere neue Teildisziplinen selbständig geworden.
Mit dem Ausdruck «Makrostilistik» ist gemeint, dass der Übersetzer bei Erhaltung, Wiedergabe oder Rekonstruktion der stilistischen Merkmale des Originals nicht auf einzelne Elemente fokussiert ist, sondern auf eine globale Reproduktion der allgemeinen stilistischen Elemente des Prototextes abzielt. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise gereimte und den Originaltext metrisch nachahmende Übersetzungen von Gedichten, die jedoch zwangsweise einen anderen semantischen Inhalt haben als das Original.
makrostilistische Übersetzung bezeichnet. In dieser Art der Übersetzung besteht die Dominante in der Ausdrucksebene des Originals, die auch den Ausgangspunkt für die Konstruktion der Inhaltsebene des Metatextes bildet. Im Metatext werden Metrik, Reime, Strophen und alle formalen Strukturen "wortgetreu" nachgebildet.
die mikrostilistische Übersetzung. Hauptziel dieser Spielart der Übersetzung ist die Nachschöpfung der vom Autor verwendeten Ausdruckselemente. In diesen Kreis gehören die Versuche einer Exotisierung (d.h. der Beibehaltung von so genannten realia, die dem Leser die kulturelle Entfernung vom Prototext vor Augen führen) oder der Lokalisierung (d.h. der Umgestaltung der realia und Substitution durch affine realia der Rezeptionskultur, um die kulturelle Distanz zur Zielkultur zu überbrücken) ebenso wie die Übersetzung mittels Tropen (d.h. Versuchs der Reproduktion einzelner rhetorischer Figuren des Prototextes).
Makro- und Mikro-Stilistik (Stilistik, Bernhard Sowinski, 1991)
Stil ist textbezogen und kann als solcher nur in größeren Texteinheiten erkannt werden. Er wird erst in größeren Textkomplexen deutlich, wobei ein Gesamttext auch verschiedene Stilformen in sich vereinigen kann. Es erscheint hier sinnvoll, der bisherigen Stilistik, die nun als Mikrostilistik genannt wird, eine eigene Makrostilistik gegenüber zu stellen, die sich der Erforschung stilistisch größerer Texteinheiten und entsprechend größeren Kategorien zuwendet.
Zudem steht außer Zweifel, dass die stilistischen Mikrostrukturen beeinflusst, determiniert werden. Eine vorher gewählte Gedichtform z. B. wirkt sich ebenso aus wie die Erzählweise einer Novelle.
Neben der Mikrostilistik erweist sich Makrostilistik als Komplementärdisziplin.
Die MaS sollte auch Kategorien der kommunikativ-pragmatischen Stilanalyse einbeziehen.
W. Kayser kritisiert die satzgebundene Enge rhetorischer Stilmittel und verlangt eine „satzübergreifende Stilistik“.
Die Differenzierung zwischen Makrostilistik und Mikrostilistik ist seit 1975 zunächst von E. Riesel vertreten worden, später von Sowinski ergänzt und inzwischen in literarischen Stilanalysen erprobt worden.
Während E. Riesel nur „Funktionalstile“, Kontext, Komposition, architektonische Funktion sprachstilistischer Mittel, Darstellungsarten, Erzählperspektive, Rededarstellungen, Sprachporträts“ als makrostilistische Einheiten aufführt, ergänzt sie Sowinski (Autor dieses Buches) durch „Kommunikationsweisen (mündl.; schriftl.), Stilzüge, Stilfärbungen, Textsorten und Gattungen. Erzählweisen, Erzählverhalten, Erzählhaltungen.
 Makrostilistische Einheiten (Elemente, Stilmittel)
Als makrostilistische Elemente (Stilmittel) sind solche textlichen Kategorien gedacht, die oberhalb der Satzebene die Struktur eines Textes variierend beeinflussen. Die Stilistik berücksichtigt makrostilistische Einheiten, weil dadurch der jeweilige Stil eines Textes bis in seine Mikrostruktur hinein beeinflusst wird. Diese makrostilistische Unterscheidung betrifft die Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation.
Bei mündlicher Kommunikation unterscheidet man:
1. spontane Äußerungen in der Alltagsrede
2. spontane Äußerungen in gehobener Rede
3. vorgeplante mündliche Äußerungen