Inventar der Affixe (das Morpheminventar) NJ

Inventar der Affixe (das Morpheminventar)
(Referat aus der Morphologie)


Im Morpheminventar kann man drei Arten von Morphemen unterscheiden:

1.) Flexionsmorpheme
Flexionsmorpheme bilden den geschlossensten Bestandteil der Morphemebene, weil sich ihr Inventar nur mit Akzentverschiebung und Lautwandel ändert, was nur selten passiert. Zum Beispiel deklinierte man früher „der Tag“ folgend im Singular: tag, tagas, taga, tag und Instrumental tagu.

Im nominalen und pronominalen Bereich sind das Suffixe -(e)s, -(e)n, -e, -er, -em, -ens, -st und Umlaut (nach Duden: Veränderung eines Vokals: a, o, u, au zu ä, ö, ü, äu), im verbalen Bereich Suffixe -e, -(e)st, -(e)t, -(e)n, -end, -te, Präfix ge- und Ablaut (nach Duden: Gesetzmäßiger Vokalwechsel in der Stammsilbe etymologisch verwandter Wörter.) und Umlaut. Mit dieser relativ geringen Zahl von Flexionselementen werden alle grammatischen Kategorien der Wortarten gebildet: beim Substantiv und Adjektiv Genus, Kasus und Numerus, beim Adjektiven die Gradation und beim Verb Tempus, Modus, Genus, Person und Numerus.

Alle genannte Elemente (Suffixe, Präfixe, Um- und Ablaute) sind innerhalb Flexionssystems polyfunktionell, denn sie können verschiedene Bedeutungen haben: zum Beispiel kann die Suffix -en Flexionsmorpheme (seh-en), Derivationsmorpheme beim Adjektiv (gold-en; Derivation nach Duden: Bildung neuer Wörter aus einem Ursprungswort, Ableitung) und Interfix in Komposita (Schwan-en-hals; Zusammengesetztes Wort).

2.) Wortbildungsmorpheme
Die Wortbildungsmorpheme sind umfangreicher und weniger geschlossen als die Flexionsmorpheme, sie sind stärkeren Veränderungen ausgesetzt.

Die Vermehrung der Wortbildungsmorpheme erfolgt auf verschiedene Weise:
a.) direkte Entlehnung – z. B. aus dem Französischen die Suffixe -ei, -ier(en) oder aus dem Lateinischen die Suffixe -inter und -ist.
b.) Morphematisierung fremdsprachiger Elemente – z. B. die Präfix inter-.
c.) „Umfunktionierung“ von Flexions- und Grundmorphemen – ist mit Bedeutungswandel verbunden (Tag-es > tags, Werk - Laubwerk)
d.) Entwicklung aus Grundmorphemen seit dem Althochdeutschen – z. B. aus damaliger Grundmorphem scaf (=Beschaffenheit) ist durch eine Entwicklung das Suffix -schaft oder aus dem Wort tuom (=Körper) ist das Suffix -tum entstanden.
e.) Erweiterungen der Anwendbarkeit von Affixen – liegen in Verschiebungen in der Distribution (Verteilung) der Affixe
f.) Verselbstständigung einiger Morphemvarianten – z. B. die Suffixe -ler und -ner, die aus dem Suffix -er entstanden sind.

Als gegenläufige Tendenz zur Vermehrung ist bei den Affixen auch das Untergehen zu beobachten, z. B. durch das Verschmelzen von Affix und Wortbilungsbasis, wobei die fragliche Gebilde:
a.) zu erkennen ist – z. B. Gebärde aus ehemaligem Verb gebären (=sich benehmen, verfahren) mit Suffix -de und mit Suffix -t hat sich z. B. das Substantiv Bucht aus dem Verb biegen entwickelt.
b.) nicht mehr zu erkennen ist – völlig verschwunden ist der Konstruktionscharakter von Wörter wie Saum (aus siuwen = nähen) oder Zaum (aus ziehen)

3.) Grundmorpheme (Basis- oder auch Stammmorpheme)
Diese Art von Morphemen ist noch wesentlicher offener als die Wortbildungsmorpheme. Sie sind sogar nicht aufzählbar, weil da ständig neue Grundmorpheme hinzukommen und gebräuchliche veralten bzw. verschwinden.

Die Erweiterung des Grundmorphembestandes erfolgt gegenwärtig vor allem durch die Entlehnung (Chip, Shop, Pop, Pizza, Sauna,…) und weniger durch die Appellativierung (Appellativ nach Duden: Substantiv, das eine Gattung von Dingen oder Lebewesen und zugleich jedes einzelne Wesen oder Ding dieser Gattung bezeichnet; Gattungsbezeichnung, -name: z. B. Mensch, Blume, Tisch) von Eigennamen (Diesel, röntgen).

Die Verschmelzung von ursprünglich komplexen Wörter zu Simplizia (nach Duden: nicht zusammengesetztes oder abgeleitetes Wort) kann nur über längere Zeitraum verfolgt werden und funktioniert wie das Verschmelzen beim Untergang der Wortbildungsmorpheme.

Eine gewisse Ausnahme in bezug auf die Dynamik der Grundmorpheme stellen Präpositionen, Konjunktionen und Pronomen dar, aber trotzdem ist auch bei ihnen über einen längeren Zeitraum hinweg Veränderung im Gang zu beobachten: z. B. Veralten der Konjunktionen ob oder der Entstehung von Präpositionen aus Substantiven wie dank, trotz, namens.

Der quantitative Anteil der Grundmorpheme in Gestalt von Wörtern am Gesammtwortschatz ist gering, den Hauptanteil bilden komplexe Wörter.

Übersicht über das Inventar der Affixe

Dank verschiedener Affixe werden folgende Wortarten in der deutschen Sprache der Gegenwart gebildet:

1.) Wortbildung des Substantivs
- Präfixe heimische: erz-, ge-, haupt-, miß-, un-, ur-
fremdsprachige: a-, anti-, de-, des-, ex-, hyper-, in-, ko-, pro-, re-, sub-, trans-,…
- Erstglieder substantivischer Komposita (Konfixe): auto-, maxi-, mono-, pseudo-, quasi-,…
- Suffixe heimische: -chen, -de, -e, -heit, -keit, -icht, -in, -ling, -nis, -sel, -tel, -ung,…
fremdsprachige: -ament, -elle, -ette, -ier, -ik, -iker, -or, -ose, -ur,…

2.) Wortbildung des Adjektivs
- Präfixe heimische: erz-, miß-, un-, ur-
fremdsprachige: a-, anti-, de-, des-, ex-, hyper-, in-, ko-, pro-, sub-, trans-,…
- Erstglieder substantivischer Komposita (Konfixe): auto-, maxi-, mono-, pseudo-, vize-,…
- Suffixe heimische: -bar, -fach, -haft, -keit, -isch, -lich, -los,…
fremdsprachige: -abel, -al, -ant, -ar, -esk, -iv, -oid, -os,…

3.) Wortbildung des Verbs
- Präfixe heimische: ab-, an-, auf-, aus-, bei-, er-, ge-, los-, nach-, ob-, über-, ver-,…
fremdsprachige: de-, in-, ko-, re-, sub-, trans-,…
- Suffixe -ig, -el, -er,…

4.) Wortbildung des Adverbs
- Suffixe: -dings, -ens, -halben, -hin, -lei, -lings, -mals, -weg, -weise,…