Industrie und Wirtschaft 1

Industrie und Wirtschaft
(1939 - 1945)



In einer geheimen Denkschrift zum Vierjahresplan forderte Adolf Hitler im August 1936 die Kriegsbereitschaft der deutschen Wirtschaft innerhalb von vier Jahren. Als drei Jahre später der Zweite Weltkrieg begann, war Hitlers Forderung nur in Ansätzen erfüllt. Dennoch war das Deutsche Reich umfassend auf den Krieg vorbereitet und sein Rüstungsstand derart gewaltig, dass sowohl Polen 1939 als auch Frankreich 1940 innerhalb weniger Wochen kapitulieren mußten. Die Kriegführung war auf kurze Feldzüge ausgelegt, da es dem Deutschen Reich für ausgedehnte Abnutzungskriege an Ressourcen fehlte. Um diesen Mangel im weiteren Kriegsverlauf auszugleichen, wurden die eroberten Gebiete vor allem in der Sowjetunion rücksichtslos ausgeplündert. Neben Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Maschinen bedurfte es besonders menschlicher Arbeitskraft. Ende 1944 arbeiteten mehr als 7,5 Millionen Fremd- und Zwangsarbeiter in fast allen Bereichen der deutschen Wirtschaft.
Kompetenzstreitigkeiten und Koordinationsmängel zwischen der Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring, dem Reichswirtschaftsministerium unter Walther Funk und dem von General Georg Thomas (1890-1946) geleiteten Wehrwirtschafts- und Rüstunksamt im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) verhinderten zu Kriegsbeginn eine systematische Gesamtwirtschaftsplanung. Eine radikale Umstellung der Wirtschaft auf die Kriegserfordernisse mit einer zentralen Lenkung der Rüstungswirtschaft fand nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 nicht statt. Die Wehrmacht beanspruchte hartnäckig die Verantwortung für ihre eigene Rüstungsproduktion, einen Austausch mit zivilen Ingenieuren und Konstrukteuren fand kaum statt. Vorteile standardisierter Massenproduktion wurden zu Kriegsbeginn nicht erkannt. Die Konsum- und Verbrauchsgüterindustrie produzierte zunächst nahezu unverändert weiter. Zwischen 1938 und 1942 stieg der Industrieindex lediglich von 100 auf 106, allein der Index der Rüstungsproduktion kletterte auf 320, ohne sämtliche Kapazitäten tatsächlich genutzt zu haben. Der Bau von Flugzeugen stagnierte in den ersten beiden Kriegsjahren. Die Luftschlacht um England war damit nicht zu gewinnen: Die britische Flugzeugproduktion lag zwischen 1939 und 1941 etwa doppelt so hoch wie die deutsche.
Im Deutschen Reich intensivierten sich ab 1940 die schon vor dem Krieg zur „nationalen Aufgabe“ deklarierten Materialsammlungen. Die NS-Volkswohlfahrt, die Hitler-Jugend und Schulen sammelten Alt- und Rohstoffe. Ab April 1940 riefen die Behörden regelmäßig zu „Metallspenden“ für die Rüstungsbetriebe auf. Trotz der Einführung von Lebensmittelkarten und Zuschlägen auf Genussmittel sollte der deutschen Bevölkerung im Krieg eine „Normalität“ des Alltagslebens aufrechterhalten werden. Eine totale kriegswirtschaftliche Mobilisierung blieb bis 1943 aus und das Arbeitskräftepotential der Frauen nahezu unberührt. Die dadurch entstandenen ökonomischen Engpässe konnten zunächst durch die Ausbeutung der besetzten Ostgebiete und die Zwangsrekrutierung ihrer Bevölkerung für den Arbeitseinsatz in Deutschland entschärft werden. Besonders im Krieg gegen die Sowjetunion rechneten das NS-Regime und die deutsche Industrie mit reicher Beute an Rohstoffen und Nahrungsmitteln zur Herstellung einer autarken „Großraumwirtschaft“ in Kontinentaleuropa unter deutscher Führung. So wuchs die 1937 für Erzbergbau und Verhüttung gegründete Aktiengesellschaft Reichswerke „Hermann Göring“ durch zwangsweise Einverleibung ausländischer Großkonzerne im Krieg zum größten Wirtschaftsunternehmen Europas heran. Bis zu einer Million Menschen arbeiteten für den Mammutkonzern, darunter Zehntausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen.
Da sich vor allem die Großkonzerne erfolgreich gegen eine kriegswirtschaftliche Zentralisierung wehrten, war das Ziel von Fritz Todt nach seiner Ernennung zum Minister für Bewaffnung und Munition im März 1940, die nur zum Teil für die Rüstung produzierende Industrie stärker in die Verantwortung einzubinden und den Übergang zur totalen Kriegswirtschaft vorzubereiten. Immer öfter wurde führenden Vertretern von Firmen der Nicht-Rüstung der Titel „Wehrwirtschaftsführer“ verliehen, um die Umstellung der Betriebe auf die Belange der Kriegswirtschaft zu dokumentieren. Gewährleistet werden sollte die industrielle Effizienz mit Rücksicht auf den militärischen Bedarf durch einen Lenkungsapparat aus Industrie und Militär unter Vorsitz Todts. Fünf Hauptausschüsse - zuständig für Munition, Waffen und Gerät, Panzerwagen und Zugmaschinen, Allgemeines Wehrmachtsgerät, Maschinen - rationalisierten und standardisierten die Produktion. Stillgelegt werden mussten hunderttausende kriegsunwichtiger Betriebe vor allem im Handwerk. Bis Mitte 1940 nahm die Zahl der im Handwerk Beschäftigten um mehr als eine Million ab, im Handel um weit über 400.000, was allerdings in erster Linie durch Einberufungen in die Wehrmacht zurückzuführen war. Staatlich angeordnete Stilllegungen erfolgten massiv erst ab 1943.