HEINRICH MANN

HEINRICH MANN *1871 +1950

Von ähnlichen ästhetisch-politischen Intentionen wie bei Karl Sternheim ist Heinrich Manns Roman "Der Untertan" /1916/ geprägt. Es gibt darüber hinaus formale und inhaltliche Parallelen wie Sternheim in seinem Komödienzyklus, versucht Mann in einer Romantrilogie die Bilanz des wilhelminischen Kaiserreichs zu ziehen. Zum Untertan träten die Romane "Die Armen" /1917/ und "Der Kopf" /1925/. Reale zeitgeschichtliche Vorgänge, Ereignisse des gesellschaftlichen und politischen Lebens bilden das Fundament der dargestellten fiktiven Handlungen der Romane. Der Untertan schildert die Karriere des Papierfabrikanten und Kommunalpolitiker Diederich Hessling. Formal stellt der Roman eine Parodie auf den klassisch - romantische und realistische Erzählung und Bildroman des 18. und 19. Jhd. dar, der in der deutschen Literatur Vorherrschaft.
So wird der äußere Aufstieg Hesslings als Niedergang geschildert bis von der Individualität "des Helden" nichts mehr übrig bleibt, und er ganz als Repräsentant des revolutionären Zeitgeistes entlarvt ist. Mit nicht geringerer satirischer Schärfe als das konservativ-reaktion. Bürgertum im Gestallt Hesslings wird der parlamentarisch-politische Opportunismus der deutschen Sozialdemokratie aufs Korn genommen. Der Arbeiterführer Napoleon Fischer, Revolutionär im Wort und opportunistisch in der Tat steht mit seinem Verhalten exemplarisch für die Entwicklung von Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung seit den 90 Jahren des 19. Jhd. Die Sympathie des Autors gehört dem gegenüber den Liberalen des Bürgertums von 1848, die im Roman in Gestalt des alten Buck ihre Verkörperung und ihr Ende finden. Vielschichtig sind die wirtschaftlichen Prozesse d.h. Hesslings Aufstieg von Klein- zum Grossunternehmer. Die gesellschaftlich-politische Verhältnisse /Kaiser,Adel, Militär, Arbeiterschaft, konservatives und liberales Bürgertum, Sozialdemokratie/, sowie die spezif. Sozialisationsverhältnisse in Kaiserreich /Erziehung zum Untertanen/. und die ideologisch-moralischen Normen erfasst, so dass im Kleinen ein literarisch-künstlerisches Bild des Faulenganzenen entsteht. Obwohl vor dem 1. Weltkrieg konzipiert, verbleibt der Roman nicht bei satirischer Kritik an gesell. Zustand seiner Zeit, viel mehr wird am Schluss ein Vorspiel des Umsturzes und Untergangs der Epoche gestaltet. In Geistesart Darstellungsziel und Verfahren unterscheidet sich Heinrich Mann grundlegend von seinem Bruder Thomas Mann. Er war in der 1. Hälfte des 20. Jhds. der einzige Schriftsteller von Rang, der je länger desto bewusster die herrschende Gesellschaft und Staatsordnung die autoritätssüchtige heuchlerische Moral des Bürgertums entlarvte. Er begann früh leichter und impulsiver als sein Bruder zu schreiben. 1896 ging er mit Thomas für mehrere Jahre nach Italien, vor allem nach Rom und Palestrina. Hier entstanden neben Novellen und Kurzprosa die Anfänge von "Im Schlaraffenland ein Roman unter feinen Leuten" /1900/. Eine grelle Entlarvung der hinter verlogenen Konventionen nur seinen Macht- und Genussinstinkten lebenden grossburgerlich-kapital Gegenwartsgesellschaft. Ihrer verkommenen kraftlosen Dekadenz stellte er in der Trilogie "Die Göttinnen oder die drei Romane der Herzogin von Assy" /1903/. Das Gegenbild eines seine Freiheit, Kraft und Schönheitsliebe voll modernen Renesaince Menschentums gegenüber.
Die Kritik des Bürgertums der wilhelminischen Ära mit ersten Übergängen zu gesellschaftlich-politischen Tendenzen setzt sich fort in dem Roman "Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen" /1905/.
Die bis zur Karikatur verknöcherte despotische und zugleich moralisch-labile Hauptfigur, eine böse Erinnerung des Autors an seine Schulzeit, ist ein gymnasialer Lehrer, der eigentlich Rat hieß. Ein Tyrann, der lieber untergeht als eine Beschränkung duldet, der jedoch willenlos einer Tingel-Tangel-Subrette verfällt (Tanz) damit unaufhaltsam seinen inneren und äußeren Zerfall zutreibt und als anarchistischer Zerstörer seine eigenen autoritär-moralischen bürgerlichen Existenz immer tiefer sinkt. In der späteren Verfilmung des Romans als ”Blauer Engel” fand er seine stärkste und breiteste Wirkung.
Ein erster Höhepunkt und der eigentlicher Beginn einer neuen Entwicklung wurde der Roman “Die kleine Stadt” /1909/. Erlebnisse des Autors in der kleinen italienischen Stadt Palestrina entfalten sich in dichten anschaulichen Lebens- und Gestaltengefühlen. 1910 entstand auch sein großer Essay “Goethe und Voltaire”, in dem er sich für Voltaire entschied, den kämpferischen Vertreter der geistigen Tat im Dienst an der Gesellschaft, im Unterschied zu Goethe. Heinrich Mann schrieb auch nach Stil und Gehalt bedeutendsten Essay, der schlicht Zola überschrieben war. Den an Zola, dessen Kampf gegen das herrschende System seiner Zeit exemplifizierte und tarnte H.M. den eigenen Kampf gegen das wilhelminische System und seine Folgen in Deutschland. In der 1919 erscheinenden Esseysammlung “Macht und Mensch” steht neben dem grundlegenden Zolaaufsatz der Essay “Kaiserreich und Republik”.
Als einer der ersten sah sich H.M. 1933 zu Emigration gezwungen, zunächst in das südliche Frankreich, später im Krieg in die USA. Hier sich einzuleben ist ihm bis zum Ende nicht gelungen. Der alternde fand weder als Filmtexter noch als Schriftsteller in dem ihm fremdbleibenden Land Erfolg und geriet trotz brüderlicher Hilfe in wachsende Not.
Seine letzten arbeiten erschienen in Paris, Amsterdam oder in Ost-Berlin. Herausragend unter ihnen zugleich sein eigentliches Vermächtnis ist der große 2-händige Roman “Über den hochbedeutenden König Heinrich IV. von Frankreich”, der schon Schillers lebhaftes menschliches und dramatisches Interesse angezogen hatte. Der 1. Band “Die Jugend des Königs Henri Quatre” erschien 1935, ihm folgend 1938 die Vollendung des Königs Henri Quatre. Der Roman will weder verklärte Historie, noch eine beliebige Fabel sein, sondern ein wahrhaftiges Gleichnis für die Kämpfe der Gegenwart und ein hohes Symbol für die Europa aufgegebene Zukunft in Gestalt der Auseinandersetzung des differenzierten zugleich realistischen und idealistischen “guten Königs” mit der verbrecherischen Machtpolitik seiner skrupellosen Gegner. Diesen König gelingt es Macht und Menschlichkeit, realistisches Handeln und eine auch soziale und humane Freiheit und Gerechtigkeit auf den Frieden der EU-Völkerfamilie gerichtete ideale politische Utopie in seiner Person zu vereinen.