Heinrich Böll: Wanderer, kommst du nach Spa…
Heinrich Böll: Wanderer, kommst du nach Spa…
(Erzählung, 1950)
Wanderer, kommst du nach Spa... ist eine Erzählung über ein Erlebnis eines Schwerverletzten im Zweiten
Weltkrieg.
Sie wurde erstmals 1950 veröffentlicht (Frankfurter Hefte 5, 1950, Heft 11, S. 1176-1181) und gehört
heute zu den bekanntesten Kurzgeschichten des Autors bzw. der Trümmerliteratur überhaupt.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt: Der Ich-Erzähler befindet sich zu Beginn der Kurzgeschichte in einem Krankenwagen und wird
durch eine zum Teil schon brennende Stadt transportiert, die er nicht identifizieren kann. Ebenso wie über die
zurückgelegte Strecke ist er sich auch über die Zeit, die die Fahrt in Anspruch genommen hat, unklar. Er wird
vor einem provisorischen Lazarett, das in einer Schule eingerichtet worden ist, ausgeladen und hineingetragen.
Den Weg durch die Gänge und Treppenhäuser verfolgt er, auf der Bahre liegend, in allen Details; er kommt
ihm merkwürdig bekannt vor, doch schiebt er dieses Wiedererkennen zunächst auf seine Schmerzen und sein
Fieber. Auch kommt ihm der Gedanke, dass vielleicht alle Schulen genau gleich ausgestattet sein könnten und
es insofern nicht verwunderlich sei, dass er jedes Bild und jedes Türschild zu kennen glaubt.
Im Zeichensaal, wo er auf den Arzt warten muss, vergewissert er sich: Er befindet sich tatsächlich in
Bendorf, seiner Heimatstadt, aber auch jetzt noch hat er keine volle Gewissheit darüber, dass er sich ausgerechnet
in dem nach Friedrich dem Großen benannten Gymnasium befindet, in dem er acht Jahre seiner Schulzeit
verbracht hat. Neben dieser Frage drängt sich eine zweite auf: Was für eine Verwundung er eigentlich erlitten
hat. Die Erkenntnisse brechen schließlich fast zeitgleich über ihn herein: An der Tafel befindet sich noch, von
seiner eigenen Hand und zum Ärger des Zeichenlehrers damals - vor drei Monaten - zu groß geschrieben, das
verstümmelte Zitat Wanderer, kommst du nach Spa. Kaum hat er dies gesehen und damit Gewissheit über seinen
Aufenthaltsort, wird er sich auch über seine eigene Situation klar: Er hat keine Arme mehr und nur noch ein
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Bein. Der Feuerwehrmann, der ihn bis zum Eintreffen des Arztes betreut hat, ist der alte Hausmeister seiner
Schule, bei dem man in den großen Pausen seine Milch getrunken hat, und mit „Milch“ bricht denn auch die
Erzählung ab. Der Protagonist ist, kaum in den Krieg hinausgezogen, nicht nur an die Stätten seiner Kindheit
zurückgekehrt, sondern auch zu dem Zustand eines hilflosen Säuglings (er selbst vergleicht sein Spiegelbild in
einer Glühbirne gar mit einem Embryo). Obwohl die Erzählung in der ersten Person und in der Vergangenheit
geschrieben ist, darf man daran zweifeln, dass der Erzähler die Verwundung überleben wird.
Das Zitat im Titel: Der Titel zitiert eins der bekanntesten Distichen des griechischen Altertums, von
Simonides von Keos (in Schillers Übersetzung): „Wanderer kommst du nach Sparta, so verkündige dorten, du
habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.“
Dies soll auf dem Gedenkstein für die Spartaner, die sich 480 v. Chr. bei der Verteidigung der Thermopylen
gegen die Perser bis auf den letzten Mann aufopferten, gestanden haben. Der Satz rühmte also ursprünglich
den Tod fürs Vaterland in einem Verteidigungskrieg.
Solch ein Motto ist im Zeichenunterricht des Protagonisten nicht von ungefähr für die Schreibübungen
ausgewählt worden, sondern zur Vorbereitung der jungen Männer auf den Tod im Krieg. Wie das Zitat, so
zeugt auch die gesamte Ausstattung der Schule davon, dass das Bildungsziel dieses humanistischen Gymnasiums
nicht mehr rein „humanistisch“ gewesen sein kann. Neben den bewährten Schulrequisiten wie Parthenonfries
und Dornauszieher erkennt der Verwundete auch ein Bild, das das Kolonialleben in Togo darstellt,
wieder, und zwischen den Abbildern der antiken Philosophen sind auch Beispiele für die nationalsozialistische
Rassenideologie an den Wänden der Schule zu finden.
Die Schrift an der Tafel, die den Erzähler zu der lange zurückgehaltenen Erkenntnis führt, dass er an
seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt ist und dass sein Schicksal wohl auch besiegelt ist, lässt sich auch mit der
Flammenschrift, die das Ende Babylons ankündigte, dem Menetekel, in Verbindung bringen.