Hans Fallada, Wer einmal aus dem Blechnapf frißt
Hans Fallada, Wer einmal aus dem Blechnapf frißt
Inhalt:
Hans Fallada, ein berühmter deutscher Schriftsteller unseres Jahrhunderts, hat hauptsächlich sozialkritische Romane über die Gesellschaft der 20er Jahre in Deutschland geschrieben. Er beschreibt die Schicksale von Menschen, die in einem Land leben, das vom Krieg zerstört ist und das mit einem schweren Problem kämpft: Arbeitslosigkeit.
Das Buch "Wer einmal als dem Blechnapf frißt" erzählt aus dem Leben eines Strafgefangenen names Willi Kufalt.
Willi Kufalt hat 5 Jahre im Gefängnis verbracht. Als er nun freikommt, hat er den festen Entschluß, ein neues Leben zu beginnen und sich eine ehrbare Existenz aufzubauen.
Da er keine Familie und keine festen Freunde hat, beschließt er, nach Hamburg zu gehen, weil ihn das Großstadtleben reizt und er hofft, dort einen Arbeitsplatz zu bekommen. Vorerst zieht er in Hamburg jedoch in ein Heim für ehemalige Häftlinge, denen dort geholfen wird, sich wieder in die Gesellschaft einzufügen, zu lernen, Verantwortung zu übernehmen und auf sich selbst gestellt zu sein und denen dort zu einer Arbeitsstelle verholfen wird.
Kufalt sieht in diesem Heim die beste Voraussetzung, ein neues, gesittetes Leben in Freiheit beginnen zu können.
Doch schon bald merkt er, daß ihm dort die Freiheit, wie er sie sich vorgestellt hatte, nicht zuteil wird: Er erfährt Unterdrückung, hat keinen freien Ausgang, darf nicht selber über sein eigenes Geld verfügen und erhält kaum Lohn für seine neue Arbeit im Heim als Adressenschreiber. So beschließt er, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Doch hierbei wird er plötzlich mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert: Die Vermieter wollen ihn als ehemaligen Häftling nicht akzeptieren. Fast ist er schon in eine Wohnung eingezogen, doch als die Vermieterin von seiner Vergangenheit erfährt, weist sie ihn ab. So erfindet Kufalt schließlich eine Notlüge und erhält endlich, indem er seine Herkunft ver
schweigt, ein Zimmer. Doch auch bei seiner Arbeitsstelle wird er stark unter Druck gesetzt, und sein Lohn ist extrem knapp.
Da wittert er eine Chance, schnell zu Geld zu kommen und macht sich mit einigen Bekannten selbständig. Schon bald scheitert jedoch das Unternehmen aus Mangel an Souveränität, und Kufalt steht wieder am Nullpunkt.
Bald beschließt er, in die Kleinstadt zurückzukehren, wo er seine Zeit im Gefängnis verbracht hat, da er sich Hilfe von alten Bekannten und dem Gefängnisdirektor, zu dem er ein gutes Verhältnis hatte, verspricht.
In der Kleinstadt verheimlicht er seine Herkunft und kann sich so bald eine ehrbare Existenz als Abonnementwerber einer Zeitung aufbauen. Er lernt eine Frau kennen, der er seine Vergangenheit ebenfalls verschweigt und heiratet sie schließlich.
Er lebt ein zufriedenes Leben, doch plötzlich wendet sich das Blatt, als er verdächtigt wird, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Polizei, die von seiner Vorbestrafung weiß, ist, von Vorurteilen beherrscht, von seiner Schuld überzeugt, und nur durch einen Zufall stellt sich heraus, daß Kufalt nicht schuldig ist.
Doch Kufalt ist am Ende seiner Kräfte und verliert den Mut, da er nun erkennt, daß er ständig von Vorurteilen umgeben ist, die ihm das Leben zur Hölle machen.
Er verwirft alle guten Vorsätze, kehrt nach Hamburg zurück und faßt den Entschluß, daß es keinen mehr Sinn hat, sich abzurackern. Er will nicht mehr arbeiten, sondern sein Geld auf illegale Weise verdienen - zu verlieren hat er nichts.
In Hamburg lebt er unter falschem Namen und entwirft bald einen Plan, einen Juwelier auszurauben. Für sein Vorhaben braucht er jedoch einen Komplizen und so trifft er auf Batzke, einen ausgekochten Ganoven, der im Rotlichtmilieu verkehrt und ein ehemaliger Mithäftling Kufalts ist. Batzke lehnt das Angebot jedoch ab, da es ihm zu riskant erscheint.
Kufalt ist zu unsicher, den Raub alleine zu begehen und verwirft seinen Plan. Ziellos lebt er vor sich hin und beginnt aus Langeweile, Handtaschen zu klauen. Batzke ist jedoch so ausgekocht, den von Kufalt gut durchdachten Raub allein zu begehen. Als Kufalt davon erfährt, fühlt er sich natürlich hintergangen, eine unheimliche Wut staut sich in ihm auf. Um sich an Batzke zu rächen, geht er zur Polizei, um Batzke anzuzeigen. Dann kommt ihm jedoch der Gedanke, Batzke zu erpressen, und er kehrt der Polizei den Rücken. Kufalts Erpressungsversuch schlägt jedoch fehl. Gelähmt vor Wut beklaut er seine Vermieterin und versucht zu fliehen. Die Polizei kommt jedoch sehr schnell auf seine Spur, Kufalt wird festgenommen und ist am Ende des Buches wieder genau dort, wo er am Anfang war: im Gefängnis.
Der Teufelskreis, der das Leben eines Häftlings beherrscht, wird sehr gut deutlich: Der Häftling kämpft mit den Schwierigkeiten, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden und von ihr akzeptiert zu werden, was ihn zur Mutlosigkeit leitet und ihm schließlich die Erkenntnis aufzwingt, daß ein Leben auf illegale Weise viel einfacher ist und er bewußt zur Kriminalität zurückkehrt, ohne darin besonders hohe Risiken zu sehen.
Die Gefühle, die in Kufalt hier zum Ausbruch kommen, beschreibt folgender Textausschnitt:
"Er hatte das letzte Dreivierteljahr, seit er frei geworden war, Revue passieren lassen, und gut waren sie nicht gewesen, diese neun Monate. Keine Stunde gut, keine Stunde! Er hatte sich Mühe gegeben, er hatte sich geduckt, er war feige gewesen und schmeichlerisch, aber er war auch fleißig gewesen - zu nichts nutze!
Nein, das sah er ein, es hatte nicht nur an den andern gelegen, es hatte auch an ihm gelegen. Eine Weile schien immer alles glattzugehen, aber regelmäßig kam dann etwas dazwischen. Er konnte keinen ruhigen Weg gehen, er spielte sich selbst Streiche, er duckte sich dutzendmal und war feige, wo es gar nicht nötig gewesen wäre, aber plötzlich begehrte er unsinnig auf und gab an und zerschlug alles, wo es wieder gar nicht nötig war.
Warum war er so? War er früher schon so gewesen?
Nein, sagte er, es ist nicht nur, weil ich etwas zu verbergen habe, das ist das wenigste. Nein, weil ich mit etwas noch nicht fertig bin, eigentlich bin ich immer noch im Kittchen. Und immer fühle ich, wie leicht es ist, wieder hineinzukommen.
Er hatte mal gesagt zum Direktor, damals war er noch in Haft, er sei jetzt wie ein Mann ohne Hände. Der Direktor hatte das bestritten, aber es war doch so. Fünf Jahre war ihm alles abgenommen, nicht einmal selbständig denken durfte er, er hatte nur zu tun, was ihm befohlen wurde, und nun sollte er alles allein tun... nein, es wurde nichts, ohne Hände!
Was hatte Arbeiten, Demütigsein, Entbehren für einen Sinn, wenn man doch scheiterte?!
Er dachte an den langen Zug bekannter Gesichter, die er ins Gefängnis hatte zurückkehren sehen während seiner fünfjährigen Haft. Sie kamen wieder, alle kamen sie wieder. Oder sie saßen in andern Gefängnissen oder sie taten gerade das, was sie eines Tages wieder ins Gefängnis bringen würde.
Elf Jahre ducken, immer freundlich, roboten wie ein Tier, kleine, spärliche Ansprüche ans Leben: Kino, ein Mädel, eine Gesellenstelle. Schiefgegangen, wurde nichts draus. Vorbestraft bleibt vorbestraft. Die humanste Strafe war: man richtete alle gleich hin.
Wann hat er sich so recht in seinem Fahrwasser gefühlt, wann ist er in diesen Monaten obenauf gewesen und hat genau gewußt, was er zu tun und zu sagen hatte? Wo war Heimat?
Als sie ihn wie einen richtigen Ganoven nahmen, da war er wieder zu Haus, da konnte er reden und frech tun, das lag ihm, das hatte er nun gelernt.
Schwer war das auch, seine Feigheit, seine Unentschlossenheit waren ihm auch da hinderlich, von Natur aus war er kein Verbrecher, er war es nur geworden, er hatte Verbrechen gelernt.
Kufalt kehrt also zur Kriminalität und schließlich ins Gefängnis zurück, doch zeigt er bei seiner Inhaftierung keinerlei Reue oder Schuldgefühle - im Gegenteil, er fühlt sich fast wie befreit. Wieder im Gefängnis, muß er sich über nichts mehr den Kopf zerbrechen, er wird nicht mehr von Existenzängsten gequält, ist keinem Druck mehr ausgesetzt und muß keinerlei Verantwortung mehr übernehmen. Er ist in einer vertrauten Umfebung und weiß, wie er sich zu verhalten hat - er fühlt sich regelrecht wohler als in der Freiheit!
Kufalt blüht in seinem Reden und Verhalten auf und erlangt ein neues Selbstbewußtsein und auch Selbstwertgefühl, als er zurück ins Gefängnis kommt:
"Baden bei der Aufnahme ist Vorschrift. Aber es geht doch nicht, so verbunden wie Sie sind."
"Oh, das geht schon, Herr Hauptwachtmeister", schmeichelt Kufalt. "Das sieht nur so schlimm aus. Ein Bad möchte ich gerne haben."
"Ist ein Wachtmeister beim Baden bei?" flüstert Kufalt.
"Kuckt höchstens mal rein. Hast was?"
"Vielleicht. Biste stiekum?"
"Ich geh in Ordnung", prahlt der Glatzkopf. "Ich habe noch nie einen in die Pfanne gehauen. Mir kannste alles anvertrauen. Ich liefere dir alles ab. Hast wohl schon mehr abgerissen?"
"Doch, doch" sagt Kufalt. "Fünf Jahre".
"Und jetzt?"
"Sieben."
"Au Backe, das zieht hin."
"Wat denn, wat denn", sagt Kufalt. "Sieben Jährchen und Backe. Da brauche ich keine Zelle für, die reiß' ich auf der Treppe im Stehen ab."
"Du hast' nen Nerv."
"Wat denn? Wieso Nerv?"
"Hilf mir ein bißchen beim Ausziehen. Mit dem Arm geht das noch gar nicht."
"Wer hat dich denn so durch den Wolf gedreht?"
"Mein Kumpel. Wollte mich in der U-Haft vom dritten Stockwerk runterschmeißen."
"Au Backe."
"Na, was denkst du, was ich den in die Hand gebissen habe, der hat geschrien! - Wie ist denn hier der Alte?"
"So lila, wie so'n Alter eben ist. Zu sagen hat er nicht viel. - Hat sich's denn gelohnt?"
Kufalt sagt feierlich: "Hundertfünfzigtausend!"
"Wie? Was? Du sohlst ja!"
"Hast du nicht in der Zeitung gelesen vom Juweleneinbruch in Hamburg bei Wossidlo?"
"Natürlich! - Und?"
"Habe ich gedreht!"
"Du Mensch?" Der Kalfaktor starrt bewundernd. Dann flüstert er: "Haste was beiseite gekriegt?"
Kufalt lächelt vielsagend: "Davon redet man nicht. Vielleicht erlebst du noch mal was mit mir. Kneiste mal, ob die Luft sauber ist?"
"Alles in Ordnung", meldet der Kalfaktor gehorsam.
"Schön. Dann wickle die Binde von meinem Arm ab. So. Langsam, daß nichts ins Wasser fällt. Siehst du, da ist das erste Päckchen Tabak. So. Leg's erst mal unter die Wanne. In der Blechschachtel habe ich Priem. Nochmal Tabak. Und auf ein drittes! Blättchen habe ich auch. Streichhölzer auch. Gott sei Dank, daß ich den Arm wieder rühren kann. Er war schon ganz eingeschlafen."
Und er bewegt feste den Arm.
Der Kalfaktor ist nur Bewunderung: "Du hast den Bogen aber raus. Ist denn gar nichts mit deinem Arm?"
"Quatsch, was soll mit dem sein? Hat mir der Lazarettkalfaktor gemacht. Für ein Paket Tabak. Hör zu, Mensch. Hälste dicht und verpfeifst mich nicht, dann kriegst du ein halbes Paket Tabak."
"Ein ganzes", fordert der Kalfaktor.
"Hau ab", sagt Kufalt und steigt in die Wanne, "wo ich selbst nur drei habe."
"Na, du kriegst doch immer frischen."
"Weiß man nicht, muß man erst Bescheid wissen im Bau, mit wem man schieben kann. - Wann kommt der Arzt?"
"Der Arzt? Morgen!"
"Au weh. Muß ich ja meinen Verband abmachen. Werden die Zellen hier sehr gefilzt?"
"Nee. Du tust deinen Tabak am besten in die Matratze. Da wird nie nachgesehen. Nach Einschluß kannst du schön rauchen. Die Nachtwache sagt nichts."
"Schön, schön. Also, ich will dir ein Paket Tabak geben. Ich krieg' schon wieder frischen. Aber du gibst mir nachher auf der Kammer einen tadellosen neuen Anzug."
"Ist gemacht. Suchen wir dir gleich nachher raus."
Wohlig aufseufzend, reckt sich Kufalt in der Wanne: "Eigentlich ist es großartig, wenn man wieder drin ist. Hat man doch wieder seine Ordnung."
"Versteht sich", sagt der Kalfaktor. "Aber sieben Jahre - na, du wirst noch an mich denken."
"Mensch, wo ich schon fünf Jahre abgerissen habe! Sieben ist auch nicht viel mehr. Und vielleicht kommt 'ne Amnestie. Hauptsache, daß man immer zu rauchen hat und kriegt einen Druckposten. Aber keine Bange. Ich werde schon für mich sorgen."
Genauso zuversichtlich sind auch Kufalts Gedanken in den letzten Zeilen des Buches:
"Fein, wenn man wieder so zu Hause ist. Keine Sorgen mehr. Fast, wie man früher nach Haus kam, mit Vater zur Mutter.
Fast?
Eigentlich noch besser. Hier hat man ganz seine Ruhe. Hier quatscht keiner auf einen los. Hier braucht man nichts zu beschließen, hier hat man sich nicht so zusammenzunehmen."Schön, so 'ne Ordnung. Wirklich ganz zu Haus."
Das Buch gibt eine völlig neue Sichtweise über die Gefühle eines Häftlings, teilweise sehr überraschend, auf den ersten Blick scheinbar unverständlich und vieleicht sogar erschreckend.
Eine New Yorker Zeitschrift hat das Buch einmals als "einen Roman voller Humanität, reich an Humor und Ironie, an Bitterkeit und Mitleid" beschrieben, eine Beschreibung, die Hans Falladas Roman sehr gut trifft.
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Bewertung:
Mir persönlich hat das Buch unheimlich gut gefallen, weil ich in erster Linie die Thematik sehr interessant fand. Der Autor versteht es, das Thema, das eher selten verarbeitet wird, in einen sehr vielseitigen Roman einzubringen. Obwohl die Geschichte in das Zeitgeschehen der 20er Jahre eingebaut ist, hat die Thematik trotzdem nicht an Aktualität verloren.
Hans Falladas Stil zeigt durchweg ironische Züge, wobei die saloppe Ausdrucksweise der 20er Jahre in den zahlreichen Dialogen hervortritt. Die Texte sind locker, beschwingt und leicht zu lesen. Es wird keine Sentimentalität oder Mitleid vermittelt, noch wirken Beschreibungen belehrend; vielmehr ist die Geschichte sehr einfühlsam und trotzdem humorvoll und optimistisch.
Was mir außerdem sehr gefallen hat, ist die Vielseitigkeit des Buches: Mal wird sehr einfühlsam die Problematik dargestellt, dann wieder kommt die Komik zum Ausbruch, romantische Liebesszenen werden beschrieben, andere Teile wiederum verkörpern einen Kriminalroman, voll von Spannung.