FRANK WEDEKIND
FRANK WEDEKIND *1864 +1918
Mit Heinrich Mann befreundet und in antibürgerlichen mehr moralischen als politischen Afekt, ihn noch übertrefend, auch stilistisch in der Neigung zu Groteske und Übersteigerung, ihm verwandt war F.W. Sein Lebensgang war denkbar unbürgerlich. Er war Jurnalist, Reklamechef einer Suppenwürfelfirma, Sekretär eines Wanderzirkus, nach einer Erbschaft lebe man in europäischen Grossstädten, Bohemien, Kabaretist, Chansonier, Schauspieler, Akrobat, wesentlich aber war er Dramatiker, daneben Lyriker und Erzähler, ein Mann der Bühne, der Hauptfiguren seiner Stücke nicht selten selber spielte. Formal knüpft sein Drama weder an die Tradition, noch an den Naturalismus aber unbeeinflusst von ihm, eher erinnert es an die Szenenreihung, die offene Form von Lenz, Büchner und dem späten Grabbe und weisst voraus auf Sternheim, Kaiser und Brecht.
Sein Werk ”Frühlings Erwachen” /1891/ im Durchbruchsjahr des Naturalismus aber unbeeinflust von ihm und gegen ihn entstanden, wird zur sinnlosen Zerstörung solcher Hoffnung zur Tragödie von Kindern im pubertären Übergang zur Geschlechtsreife. 2 Knaben sehr verschiedener Natur: kräftig, unbedenklich, sinnenfroh der eine, introvertiert, melancholisch, gewissensgehämter der andere, sind die Hauptgestalten. Daneben andere Jugentliche, Mädchen, Mütter, Lehrer. Die Handlung sammelt sich stationenartig, jeweils um ein inneres Zentrum. In knappen Dialogen wird das Unterschiedliche aber vergebliche Bemühen der Knaben wie der Mädchen deutlich mit den sie bedrängenden Fragen und Erfahrungen fertig zu werden, aber nicht minder hilflos moralischen und gesellschaftlichen Zwängen ausgeliefert, sind die für die Kinder verantwortlichen Erwachsenen. Teils dumpf getrieben, teils aus Neugier, halb schuldbewusst, halb zum Spiel kommt es zur ersten Liebesvereinigung. Eine fuscherische heimliche Abtreibung, Versuch der Mutter die Folgen vor der Gesellschaft zu verbergen, endet mit dem Tod der jugentlichen Wendla. Der eine Knabe setzt sich darüber hinweg, der andere vermag es nicht und nimmt sich das Leben. Am Ende steht eine gespenstische surrealistische Szene auf dem nächtlichen Friedhof, ein Gespräch zwischen dem Überlebenden, dem Toten, der mit dem Kopf unter dem Arm erscheint und einen Herren im Frak der Lebenserfahren halt zynisch halt orakelnd (voraussagend) vor allem dem Überlebenden auf seine Weise zu beruhigen versucht. Alle Schuld liegt bei den ihre Lüge, Feigheit und Heuchelei für moral haltenden Eltern und Erziehern. Das Stück wurde von der Zensur erst 12 Jahre später zur Aufführung frei gegeben.
Aus der Fülle exzentrischer Hochstapler- und Abenteurerdramen und ihre Abwandlungen der wedekindschen Grundthematik (z.B. ”Der Marquis von Keyth” /1901/, ”Karl Hedmann oder Der Zwerg Riese” /1904/, ”König Nicolo oder So ist das Leben” /1911/, ”Musik” /1908/, ”Francisca – ein modernes Mysterium” /1912/ …) kann hier nur auf das zentrale Drama W. etwas genauer eingegangen werden, Die Lulutragödie, die ihn dieUmarbeitungen und Fortführungen fast 10 Jahre begleitet hat, 1893 der erste und veröffentlichte Entwurf. 1903-4 Lulu mit ihren beiden Teilen ”Erdgeist” und ”Die Buchse der Pandora”. In einem Vorwort zur Buchse der Pandora (Pandora – nach den gr. Myten eine vom Götterhimmel herabsteigende Frauengestalt von höchster Schönheit, die jedoch mit ihrer Gabe endloses Unheil über die Menschen bringt, sie darf die Buchse nicht öffnen) unterscheidet W. die burgerliche Moral, die zu Verteidigen des Richters ist von der menschlichen Moral. Beide haben die Tendenz sich antinomisch zu wiedersprechen und auch zu leben. Die menschliche Moral steht bei ihm über allen menschlichen Rechtsnormen.