Entstehungsgeschichte von Galilei – Drei Fassungen

Entstehungsgeschichte von Galilei – Drei Fassungen

Am 23. November 1938 schrieb Brecht in sein Arbeitsjournal: "Das Leben des Galilei abgeschlossen. Brauchte dazu drei Wochen." (vgl. Brecht, 1988, S. 79)Dies war wenige Wochen vor der Entdeckung der Kernspaltung durch das Forscherteam Otto Hahn, Lisa Meitner und Fritz Straßmann. Man könnte also sagen, dass die Geburt des Atomzeitalters mit der Fertigstellung der ersten Fassung des "Galilei" zusammenfällt. Brecht befand sich seit 1933 im Exil und lebte mit seiner Familie im dänischen Skovbo-strand. Von dort aus musste er beobachten, wie der Nationalsozialismus seine Macht ungehindert entfalten konnte. Für oppositionelle Intellektuelle wie Brecht stellte sich die Frage: Wie soll sich angesichts einer gewaltigen Propaganda-Maschinerie und der systematischen Ausschaltung aller Opposition der um die Wahrheit Wissende verhalten? Der historische Fall Galilei erschien Brecht unter diesen Voraussetzungen sehr geeignet.

Es handelte sich dabei um einen durch die historische Distanz entlegenen Stoff, der aber das Denken in Widersprüchen lehren und die Veränderbarkeit von scheinbar unumstößlichen Ordnungen demonstrieren konnte. Schließlich bot er ganz konkret die Möglichkeit, die Problematik des Widerstehens oder Nachgebens exemplarisch vorzuführen: Soll der Wissende sich um der Wahrheit willen in Gefahr bringen oder sich für günstigere Zeiten bedeckt halten?
(Brecht,1988, S.146)

Die erste Aufführung des "Galilei" fand im September 1943 im Schauspielhaus in Zürich statt. In der Zwischenzeit tobte ein Weltkrieg und die ehemals freie Wissenschaft hatte sich zur Kriegswissenschaft gewandelt.
Brecht lebt seit 1941 in Santa Monica, Californien, in der Nähe von Hollywood, wo er mit mäßigem Erfolg versucht in der Filmindustrie einen Lebensunterhalt zu verdienen. Dort lernt er den englischen Schauspieler Charles Laughton kennen, mit dem er den Galilei" Satz für Satz ins Englische übersetzt. Die amerikanische Fassung wurde in einem Privattheater in Beverly Hills 17 mal aufgeführt und in New York sechsmal (Juli und Dez. 1947). Vor allem bei den Aufführungen in Hollywood, zu denen auch Gäste wie Charlie Chaplin, Ingrid Bergmann und Anthony Quinn erschienen, war die Resonanz durchaus beachtenswert und wohlwollend. Hier wird die Figur viel negativer gesehen. Unter dem Schock des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki erscheint Galilei als Verbrecher, der zu feige war, durch seinen Widerstand ein naturwissenschaftliches Ethos zu schaffen, das den Mißbrauch der Forschung ächtet. Diese Fassung endet mit der Selbstanklage Galileis.
In den Jahren 1953/4 wandte sich Brecht als Leiter des Berliner Ensembles in Ost-Berlin wieder dem Stück zu und gab seinen Mitarbeitern Elisabeth Hauptmann und Benno Besson eine deutschsprachige Bühnenfassung in Auftrag, die dann von ihm noch überarbeitet wurde. Das 15. Bild, auf welches die amerikanische Fassung verzichtet hatte, wurde wieder hinzugefügt. Die Entwicklung der Wasserstoff-Bombe erfüllte die Menschen mit sehr realen Ängsten vor einem dritten Weltkrieg.
Die Frage der sozialen Verantwortung des Wissenschaftlers stand damit weiterhin im Zentrum des Galilei und es gab keinen Grund entscheidende Veränderungen vorzunehmen. In Bild 14 wurde ein Passus eingefügt, der so etwas wie einen hippokratischen Eid für Wissenschaftler verlangt. Ohne einen solchen seien die Wissenschaftler nur ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.
(Brecht, 1988, S. 179)