E. M. Remarque – Im Westen nichts Neues
E. M. Remarque – Im Westen nichts Neues
Im Westen nichts Neues ist der mit Abstand bekannteste und einflußreichste aller Romane Remarques. Direkt nach seinem Erscheinen bei Ullstein im Jahre 1928 wurde er zu einem Massenerfolg, wie ihn das deutsche Verlagswesen noch nicht gesehen hatte. Zugleich wurde er aber auch das Ziel heftigster Angriffe der Rechten und insbesondere der Nationalsozialisten, die zu der Verbrennung von Remarques Büchern im Mai 1933 und zu seiner Ausbürgerung 1938 führen sollten.
Die Handlung dreht sich um die Erlebnisse des jungen Soldaten Bäumer, der sich unter dem Einfluß seines Klassenlehrers im Ersten Weltkrieg direkt von der Schulbank an die Front meldet. Er erlebt den Tod aller seiner Freunde und den Zusammenbruch seiner jugendlichen Welt in den unvorstellbaren Grauen des Schützengrabens. 1930 wurde der Roman von Lewis Milestone, der auch bei Arc de Triomphe Regie führen sollte, verfilmt. Der Film Im Westen nichts Neues wurde zu dem Klassiker unter den Antikriegsfilmen. Hier ist das Umschlagbild des Romans in der Ullstein-Originalausgabe abgebildet.
Auszug / Zitat
Inhalt
Kontext / Rezeption / Analyse
weiterführende Literatur
Verfilmung
Das "Kaisergespräch" aus Im Westen nichts Neues
[...] Endlich ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint. Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und ich bin eigentlich etwas enttäuscht: nach den Bildern hatte ich ihn mir größer und mächtiger vorgestellt, vor allen Dingen mit einer donnernden Stimme.
Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen wir ab.
Nachher unterhalten wir uns. Tjaden sagt staunend: "Das ist nun der Alleroberste, den es gibt. Davor muß dann doch jeder strammstehen, jeder überhaupt!" Er überlegt: "Davor muß doch auch Hindenburg strammstehen, was?"
"Jawoll", bestätigt Kat.
Tjaden ist noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach und fragt: "Muß ein König vor einem Kaiser auch strammstehen?"
Keiner weiß das genau, aber wir glauben es nicht. Die sind beide schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Stammstehen mehr gibt.
"Was du dir für einen Quatsch ausbrütest", sagt Kat. "Die Hauptsache ist, daß du selber strammstehst."
Aber Tjaden ist völlig fasziniert. Seine sehr trockene Phantasie arbeitet sich Blasen.
"Sieh mal", verkündet er, "ich kann einfach nicht begreifen, daß ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich."
"Darauf kannst du Gift nehmen", lacht Kropp.
"Verrückt und drei sind sieben", ergänzt Kat, "du hast Läuse im Schädel, Tjaden, geh du nur selber rasch los zur Latrine, damit du einen klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest."
Tjaden verschwindet.
"Eins möchte ich aber doch noch wissen", sagt Albert, "ob es Krieg gegeben hätte, wenn der Kaiser nein gesagt hätte."
"Das glaube ich sicher", werfe ich ein, - "er soll ja sowieso erst gar nicht gewllt haben."
Na, wenn er allein nicht, dann vielleicht doch, wenn so zwanzig, dreißig Leute in der Welt nein gesagt hätten."
"Das wohl", gebe ich zu, "Aber die haben ja gerade gewollt."
"Es ist komisch, wenn man sich das überlegt", fährt Kropp fort, "wir sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?"
"Vielleicht beide", sage ich, ohne es zu glauben.
"Ja, nun", meint Albert, und ich sehe ihm an, daß er mich in die Enge treiben will, "aber unsere Professoren und Pastöre und Zeitungen sagen, nur wir hätten recht, und das wird ja hoffentlich auch so sein; - aber die französischen Professoren und Pastöre und Zeitungen behaupten, nur sie hätten recht, wie steht es denn damit?"
"Das weiß ich nicht", sage ich, "auf jeden Fall ist Krieg, und jeden Monat kommen mehr Länder dazu."
Tjaden erscheint wieder. Er ist noch immer angeregt und greift sofort wieder in das Gespräch ein, indem er sich erkundigt, wie eigentlich ein Krieg entstehe.
"Meistens so, daß ein Land ein anderes schwer beleidigt", gibt Albert mit einer gewissen Überlegenheit zur Antwort.
Doch Tjaden stellt sich dickfellig. "Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen. Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld."
"Bist du so dämlich oder tust du nur so? knurrt Kropp. "So meine ich das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere -"
"Dann habe ich hier nichts zu suchen", erwidert Tjaden, "ich fühle mich nicht beleidigt."
"Dir soll man nun was erklären", sagt Albert ärgerlich, "auf dich Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an."
"Dann kann ich ja erst recht nach Hause gehen", beharrt Tjaden, und alles lacht.
"Ach, Mensch, es ist doch das Volk als Gesamtheit, also der Staat -", ruft Müller.
"Staat, Staat" - Tjaden schnippt schlau mit den Fingern -,
"Feldgendarmen, Polizei, Steuer, das ist euer Staat. wenn du damit zu tun hast, danke schön."
"Das stimmt", sagt Kat, "da hast du zum ersten Mal etwas Richtiges gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied."
"Aber sie gehören doch zusammen", überlegt Kropp, "eine Heimat ohne Staat gibt es nicht."
"Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle einfache Leute sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter, Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein französischer Schlosser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und den meisten Franzosen wird es ähnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig gefragt wie wir."
"Weshalb ist dann überhaupt Kreig?" fragt Tjaden.
Kat zuckt die Achseln. "Es muß Leute geben, denen der Krieg nützt."
"Na, ich gehöre nicht dazu", grinst Tjaden.
"Du nicht, und keiner hier."
"Wer denn nur?" beharrt Tjaden. "Dem Kaiser nützt er doch auch nicht. Der hat doch alles, was er braucht."
"Das sag nicht", entgegenet Kat, "einen Krieg hat er bis jetzt noch nicht gehabt. Und jeder größere Kaiser braucht mindestens einen Krieg, sonst wird er nicht berühmt. Sieh mal in deinen Schulbüchern nach."
"Generäle werden auch berühmt durch den Krieg", sagt Detering.
"Noch berühmter als Kaiser", bestätigt Kat.
"Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen dahinter", brummt Detering.
"Ich glaube, es ist mehr eine Art Fieber", sagt Albert. "Keiner will es eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt, die andern behaupten dasselbe - und trotzdem ist die halbe Welt fest dabei."
"Drübern wird aber mehr gelogen als bei uns", erwidere ich, "Denkt mal an die Flugblätter der Gefangenen, in denen stand, daß wir belgische Kinder fräßen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufhängen. Das sind die wahren Schuldigen."
Müller steht auf. "Besser auf jeden Fall, der Krieg ist hier als in Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!"
"Das stimmt", pflichtet selbst Tjaden bei, "aber noch besser ist gar kein Krieg."
Er geht stolz davon, denn er hat es uns Einjährigen nun mal gegeben. Und seine Meinung ist tatsächlich typisch hier, man begegnet ihr immer wieder und kann auch nichts Rechtes darauf entgegnen, weil mit ihr gleichzeitig das Verständnis für andere Zusammenhänge aufhört. Das Nationalgefühlt des Muskoten besteht darin, daß er hier ist. Aber damit ist es auch schon zu Ende, alles andere beurteilt er praktisch und aus seiner Einstellung heraus.
Albert legt sich ärgerlich ins Gras. "Besser ist, über den ganzen Kram nicht zu reden."
"Wird ja auch nicht anders dadurch", bestätigt Kat.
(aus: Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Mit Materialien und einem Nachwort von Tilman Westphalen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 138-142)
Inhaltszusammenfassung zu Im Westen nichts Neues
Paul Bäumer gehört zu einer Gruppe von Soldaten an der Westfront im Ersten Weltkrieg. In der Ruhestellung hinter der Front erinnert er sich zurück an seine Schulzeit. Die patriotischen Reden seines Lehrers Kantorek hatten die ganze Klasse überzeugt, sich freiwillig zu melden.
Unter dem Drill ihres Ausbilders Unteroffizier Himmelstoß mußten sie bereits in der Grundausbildung lernen, daß alle ihnen bislang in der Schule vermittelten Werte auf dem Kasernenhof ihre Gültigkeit verlieren.
Sie wurden an die Westfront verlegt, wo sie von einer Gruppe alter Frontsoldaten um den erfahrenen Katczinsky in die Gefahren an der Front eingewiesen wurden. Zwischen "Kat" und Bäumer hat sich ein Vater-Sohn ähnliches Verhältnis entwickelt. Paul lernt, zu überleben, die verschiedenen Geschosse schon am Klang zu unterscheiden, auch unter widrigsten Bedingungen etwas zu essen zu finden, und sich gegen den wirklichen Feind zu wehren - den Tod.
Bei einem kurzen Heimataufenthalt stellt Bäumer fest, wie sehr ihn die Erlebnisse an der Front verändert haben. Es ist ihm unmöglich, seiner Familie die grausamen Erfahrungen aus dem Schützengraben mitzuteilen. Enttäuscht kehrt er zurück zu den Menschen, die ihm nun am nächsten sind, seinen Kameraden an der Front.
Bei einem Angriff wird er durch Splitter verwundet und verbringt ein paar Wochen im Lazarett. In den nächsten Monaten zurück an der Front zerfällt Bäumers Gruppe. Einer nach dem anderen stirbt durch die Gas- und Granatenangriffe, im Trommelfeuer oder im Kampf Mann gegen Mann. Bis zuletzt auch er, nachdem er Verwundung und Wochen im Lazarett überlebt hat, als letzter seiner Gruppe kurz vor Ende des Krieges tödlich getroffen wird, "an einem Tag, der so ruhig und so still war, daß der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden."
Die Entstehung von Im Westen nichts Neues
Bereits Ende 1917 plante Erich Maria Remarque einen Roman über seine Kriegserlebnisse. Aus dem Duisburger St. Vinzenz-Hospital, in das er nach seiner Verwundung durch Granatsplitter am 31. Juli 1917, dem ersten Tag der 2. Somme-Schlacht, eingeliefert worden war, bat er seinen an der Front verbliebenen Schul- und Kriegskameraden Georg Middendorf um Nachrichten von den Frontereignissen, um sie in seinem geplanten „Roman“ zu verwenden. Aus dieser Zeit bis in die Mitte der 20er Jahre könnten die wenigen Manuskriptseiten erhalten geblieben sein, die eine Episode aus dem Krieg darstellen und in der für den „frühen“ Remarque typischen, deutlich lesbaren Tintenhandschrift geschrieben wurden. Aus bis heute unbekannten Gründen verfolgte Remarque seinen Plan, einen Kriegsroman zu verfassen, in den folgenden Jahren nicht mehr. Es kann nur vermutet werden, daß der Tod seines Osnabrücker geistigen Mentors und Freundes, Friedrich Hörstemeier, im September 1918 ihn dazu bewog, sich von nun an dessen Themen anzunehmen, wie Remarques erster Roman, Die Traumbude (1920), zeigt. Erst im Herbst 1927 erfolgte die Rückkehr zum Kriegsthema. Die Informationen zum Anlaß, zum Zeitpunkt der Entstehung und zur Dauer der Niederschrift von Im Westen nichts Neues sind äußerst widersprüchlich. Nach dem Erfolg des Buches ab 1928 äußerten sich zahlreiche Personen, darunter der Autor selbst, mit verschiedenen Versionen zur Entstehung des Textes. Die Legende um die Entstehung des Textes entstand: Im Westen nichts Neues sei im Herbst 1927 oder Anfang 1928 abends nach Büroschluß (Remarque arbeitete seit 1925 als verantwortlicher Redakteur für die Berliner Illustrierte Sport im Bild) innerhalb von nur sechs Wochen ohne Korrekturen entstanden. Der polnische Journalist und Übersetzer von Im Westen nichts Neues ins Polnische, Stefan Napierski, berichtete in einem Artikel über den Autor und sein Buch gar von einem Manuskript ohne jegliche Korrekturen, das Remarque ihm bei einem Besuch gezeigt habe. Das jetzt bekannt gewordene Manuskript von Im Westen nichts Neues verdeutlicht und dokumentiert jedoch eine ganz andere Entstehungsgeschichte, die auch von den anderen Materialien, die zu Im Westen nichts Neues erhalten geblieben sind, bestätigt wird. Danach plante Remarque zunächst eine chronologische Darstellung der Kriegserlebnisse von Paul Bäumer, die starke autobiographische Züge tragen sollte. Erst im weiteren Verlauf der Entstehung änderte der Autor die Konzeption seines Textes in die heute bekannte Form, die Rückblenden enthält und nur noch wenige autobiographische Momente aufweist, die in die fiktionale Handlung integriert worden sind. Ein im Nachlaß des Autors erhalten gebliebener Plan verdeutlicht zudem, daß sich der Autor sehr bewußt mit der Konzeption seines Textes auseinandergesetzt hatte, bis hin zu Überlegungen, wie lang ein Kapitel oder Textabschnitt sein durfte, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Remarques literarische Zielsetzung lief jetzt, zum Jahreswechsel 1927/28, auf die Konzeption einer Trilogie hinaus, deren erster Teil, Im Westen nichts Neues, die Kriegserlebnisse der „verlorenen Generation“ Paul Bäumers darstellen und damit die Grundlagen für die späteren Schwierigkeiten dieser Generation in der Nachkriegszeit verdeutlichen sollte. Der zweite und dritte Teil der Trilogie sollten die unmittelbare Nachkriegszeit umfassen, die Schwierigkeiten der noch jungen Soldaten, sich in der zivilen Gesellschaft zurechtzufinden und sich zu integrieren. Remarque verwirklichte diese Konzeption schließlich in dem Roman Der Weg zurück, den Remarque noch vor der Publikation von Im Westen nichts Neues begann und der im Dezember 1930 erstmals als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung erschien. Die Entstehung von Im Westen nichts Neues war im Frühjahr 1928 abgeschlossen. Remarque hatte eine Sekretärin beschäftigt, um sein stark korrigiertes Manuskript abzuschreiben. Mit diesem Typoskript von Im Westen nichts Neues wandte er sich an die Verleger.