Die literarische Revolte des Expressionismus

Die literarische Revolte des Expressionismus

Als Expressionismus (Ausdruckskunst) wird eine Richtung in Literatur, Malerei, Musik, Theater und Film bezeichnet, die etwa in der Zeit zwischen 1906-1923 das damals moderne literarisch-kunstlerische Leben in Deutschland und anderen europäischen Staaten bestimmte. Sie wurde getragen von der Generation der zwischen 1880-1895 geborenen Literaten und Künstlern, die seit der Jahrhundertwende sich abzeichende Krise der burgerlichen imperialistischen Gesellschaft zu spüren began und sie kunstlerisch zu verarbeiten suchte.
Die Einheit dieser durch aus wiedersprüchlichen von unterschiedlichen Tendenzen bestimmter Bewegung gegenüber einer Gesellschaft, die sich in der Krise befand und der Erneuerung bedurftig betrachtet wurde. So prägten Vorstellungen, Bilder und Visionen von Verfall, Untergang, Krieg, Weltende und Depresion die Kunst des Expressionismus aber auch solche von Aufbruch, Revolution, Offenbarung und Glück. Die Ursachen dieser wiedersprüchlichen Haltung sind für Deutschland in ökonomisch-gesellschaftlichen und kulturelen Zustand des wilhelminischen Zeitalters zu suchen, das sich auf den Höhepunkt seiner imperialistischen Blüte befand und sich auf seinen Untergang in 1. Weltkrieg zu bewegte.
Als die expressionistischen Authoren um 1910 zu schreiben beganen, hatte sich das imperialistische System des wilhelminischen Deutschlands voll ausgebildet. Die moderne Industrie und Handwerker waren in grosser Zahl in Konkurs gegangen. Die Arbeitermassen in den Grossstädten hatten der Sozialdemokratie zu steigendem politischen Einfluss geholfen. Die jungen Dichter des Expressionismus standen zu meist als burgerliche intelektuellen Schichten und besuchten fast alle das Gymnasium und die Universität. In Elternhaus und Schule wurden sie mit der in Konventionen erstarten traditioneller Kultur und Bildung konfrontiert, deren Maximum und Ideale im krasen Gegensatz zu den soz. Realitäten stand. Aus diesem Wiederspruch resultierte die Verunsicherung ihrer burgerlichen Weltvorstellungen und persönlichen Perspektiven. Die Kunst wurde das Medium der Auseinandersetzung mit der burgerlichen Welt und selten nur die Politik.
Aus dieser Interessenlage heraus wurde ihre Funktion in Richtung auf Freiheit, Humanität, Natürlichkeit, Glück zu befördern, konnte aber auch autonomes Feld einer resignativ-depresiven sich selbst genügenden ästhetischen Tätigkeit des l‘art pour l’art (Kunst um den Kunstwillen) sein. Entsprechend war der Kunstler entweder Verkunder, Vorläufer, Representant einer neuen Zeit oder jemand, der sich in Mediumkunst selbst befreit. Beides setzte eine radikale Antiburgerlichkeit im Sinne der damaligen ästhetischen Normen voraus.
Nicht die äusseren Realitäten des Lebens sollten ihren Niederschlag in der Kunst finden, sondern das innere Erlebnis des Kunstlers, dessen Wirklichkeit sich im Kunstwerk gestaltet und damit nach Aussen tritt. Masstab für das Gelingen dieses Prozeses der Entäusserung der Innenwelt waren nicht Schönheit und Gekonntheit im traditionellen Sinne, sondern die Kraft der Ausdrucksstärke, deshalb Expressionismus.
Die auf Grund ihres Fühlens und ihres Pathos sgn. Oh-Pathos, Publikum im Bahn zog. Das Pathos steigerte sich bis zur Extase, zum expressionistischen Schrei in einer von freien Rytmen geprägten Sprache, welche sich in freien lyrischen Formen präsentierte. Die solcher Massen von Subjektivismus und Individualismus getragene Dichtung bevorzugte Themen von Untergang und Wiedergeburt der Welt, vom neuen Menschen und von Generationskonflikt zwischen Vättern und Söhnen. Es ging dabei nicht darum die Probleme zu verobjektivieren, in dem man sie in den Zusammenhang ihrer historisch-sozieler Genese stellte. Die Darstellung wollte sich auf das unverenderlliche Wesen einer Sache, den Menschen schlecht hin konzentrieren.
Während die Lyrik zu Begin der expressionistischen Epoche zur bevorzugten Form wurde, weil sie am besten geeignet war, den anklagenden, aufrufenden und verkundenden Gefühls überschrank zum Ausdrück zu bringen, trat mit der zunehmender Politisierung der Literaten während des 1. Weltkrieges das Drama in den Vordergrund.
Die Forderung nach dem wahrhaftem Ausdruck menschlicher Gefühle von Not, Leiden und Versagung verband sich mit dem Kampf gegen dem Krieg. Der Pazifismus wurde zum Merkmal der expressionistischen Gedankenwelt, die sich vom nationalistischen Patriotismus abkehrte und die Forderung aufstellte menschheitlich zu denken. Es galt vom eigenen Privaten einmaligen Erleben, wie in der Lyrik artikuliert, weg zu kommen und das Leiden der Menschheit ins Blickfeld zu drücken. Die Erfahrungen mit dem Krieg, die viele expressionistischen Schriftsteller in persönliche Krisen brachten, eröffnete ihnen neue Dimensionen der Wirklichkeit. Die Auseinandersetzungen mit ihr bezogen sich nun nicht mehr primär auf kulturelle und geistige Phänomene, sondern vorwiegend auf soziale und politische. Eher auf emotionaler Basis, statt auf der einen rationalen Ansicht in sozio-ökonomische Zusammenhänge wurde an Menschlichkeit, Völkerversöhnung, Frieden und Menschenliebe appeliert und gegen Krieg und Völkerhass Stellung bezogen.
Die pazifistische Grundhaltung, die angesichts des Kriegsleiden sich bei den meisten Literaten spontan herausgebildet hatte, entwickelte sich im Laufe der Kriegsjahre zu einer antiimperialistischen Einstellung weiter, die sich zum Teil bis zum revolutionären Angagement steigerte (z.B. Toller, Becher).
Die geeignetste Form zur Darstellung dieser Haltungen und Einstellungen war das Drama. Die expressionistischen Szenenfolgen auch kompositorisch eine Abkehr von den klassischen dramatischen Bauformen, orientierten sich stilistisch an Vorbildern wie Büchner ”Woyzeck”, der eben erst für die Bühne entdeckt worden war /1911/ und waren meist lyrisch-monologisch und baladenhaft geprägt. Sie verzichteten an die naturalistische Nachzeichnung des Milieus und psychologisierende Ausgestaltung der Figuren. Im Zentrum stand als Hauptfigur oft ein junger Mensch, namenlos und typologisch konzipiert, der gegen die übermächtigen Gewalten des Schicksals, den eigenen Vater oder die Umwelt revoltierte.
Die programatischen, politischen und künstlerischen Zielsetzungen der Expressionisten dokumentieren sich in einer Reihe von Zeitschriften, zu deren wichtigsten die folgenden gehören - Der Sturm, Die Aktion, Die weissen Blätter, Der Brenner.

Die Krise der bürgerlichen Gesellschaft, der Verfall ihrer Weltvorstellungen und weltanschaulichen Perspektiven führte im Werk des frühen Gottfried Benn (1886-1956) zu einem radikalen Nihilismus und zu einer Irrationalität, die das einsame ”ich”, die Subjektivität ins Zentrum des literarischen Schaffens rückte.
In der 1. Sammlung ”Morgue” von 1912 sind Geschichte aus der Welt des Arztes zusammengafasst, die den Ekel an der Welt thematisieren z.B. ein paar Bilder – ein Rattennest in der Bauchhöhle des ertrunkenen Mädchens, eine kleine Aster zwischen den Zähnen eines ersofenen Bierfahrers, ein Besuch in einer Krebsbaracke. Die in einem nüchtern prosaischen Ton von getragenen, oft mit Zynismen durchsetzten Verse, mit ihrer Leitmotiven von Krankheit, Sterben und Tod, setzen sich inhaltlich und formal von den romantisch verklärenden lyrischen Produkten des ofiziellen Kulturlebens ab und schockierten die Leserschaft (”Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch) dem morbiden Gegenstand korespondiert ein Sprachstil, der sich durch asoziative Wortkombinationen gemischt aus Arztjargon und philosophischer bzw. naturwissenschaftlicher Terminologie auszeichnet.
Diese stilistische wie thematische Stellung gegen die burgerliche Kunstnormen wie es sich auch in den 1915-16 entstandenen Ränne-Erzählungen zeigt, zielte jedoch nicht auf Überwindung der als desolat empfundenen Zustände ab, sondern Apatie und Resignation in einer entfremdeten Welt aus der allein die Haluziationen und Rauschzustände des enthemten Individuums den Ausweg boten. Typisch ist die Flucht ins Un- und Vorbewusste, in südliche Sphären und paradiesische Zonen der pazifischen Inselwelt in denen das ”ich” frei von sozialen und zivilisatorischen Bindungen Eins mit der Natur sein kann.
Mit dieser Sicht verbindet sich die Absage an die Entwicklungsmöglichkeit des Einzelnen wie der Gesellschaft, ein statisches Weltbild, das die Herausbildung des Gehirns bei Menschen als Irrweg demonziert. Die ebenso agressiv-polemische wie brilande Sprache seiner Esseys weisst Benn als inteligentester Vertreter der literarischen Reaktion aus, dessen Bedeutung über die in engerem Sinne expressionistische Phase weit hinausweist.