Deutsche Literatur 61
Allerdings muss man zugeben, dass vor allem der Raum zwischen Wien und Prag, also der Einflussbereich der untergehender Donaumonarchie Österreich-Ungarn zum Nährboden großer literarischen Einzelgänger wurde. Zu diesem Raum gehören unverkennbar, nicht nur geographisch, sondern auch intellektuell die Erzähler: Robert Mussil, Herman Broch, Heimito von Doderer, Joseph Roth.
Zur literarischen Szenerie der 20. und 30. Jhr. zählen auch so vielfältige und verschiedene Talente wie: Leon Feuchtwanger (1884-1958) und Alfred Neumann (1895-1952), die beiden Protagonisten des modernen historischen Romans wie Erich Maria Remarque (1898-1970), dessen aufrückelnder, fesselnder, Antikriegsroman ”Im Westen nichts Neues” /1929/, verfilmt 1930, zu einem Welterfolg wurde, geschätzte Gesamtauflage über 10 Mil. Bücher, wie der virtuose Erzähler Hans Fallada (1893-1947), dessen populär unterhaltsame Romane ”Kleiner Mann, was nun” /1932/, ”Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” /1934/, auch nach dem 2. Weltkrieg immer wieder aufgelegt wurden.
Das Pathos der Expressionisten wurde nie Kafkas Sache. F.K. und seine Pragerfreunde haben die Fundamente gelegt, auf denen die Autoren der neuen Sachlichkeit dann weiter bauen konnten. Der Begriff neue Sachlichkeit tauchte zuerst in der bildenden Kunst auf. Auf die Literatur wurde dieser Begriff erst später angewandt.
1929 erschien die 1. neusachliche Anthologie, die freilich selbst diesen Titel nicht für sich reklamierte ”24 neue deutsche Erzähler”, herausgegeben von den Schriftsteller und Verlagsleiter Hermann Kesten. In seinem Vorwort zu dieser Textsammlung verzichtet K. auf alles pathetisch- programmatische. Nur spezielle, reale Erfahrungen sollen die Autoren einigen, kein Erlösungsprogramm, kein Erweckungsvorhaben. Nach dem expressionistischen Rausch und Verkündigungsdrang wirkt diese fast pragmatisch-pluralistische Definition von Literatur wie eine kalte Dusche. K. will die jungen Nachkriegsleute vorstellen und umschreibt ihren Lebensgefühl mitgezeichnete einer Zeit.
In den weiteren Umkreis einer Sachlichkeit gehört der Satiriker und Kritiker Kurt Tucholsky (1890-1935), dessen unfromme ”Fromme Gesänge” /1919/ unter dem Pseudonym Teobald Tiger. Reisebücher, Fejtons und Literaturkritiken witzig entlarven, desolusionieren, pazifistisch agitieren, ein großer Meister der kleinen Form, des Chansons, der kurzen Erzählung, der gepfeferten Polemik.