Deutsche Literatur 52

Bei der Gerichtsverhandlung überschreitet er den Moralkodex und greift politisch die Oberschicht an. Unrat geht sogar soweit, dass er sein Verhältnis zu Rosa mit dem des Perikles und dessen Geliebter Aspasia vergleicht. Hierdurch zieht er die Verachtung der gesamten besseren Gesellschaft auf sich und wird letztendlich suspendiert. An dieser Stelle wird der starke Einfluss der Kirche klar , Unrat wird von Pastor Quittjens aufgesucht , welcher ihm ,falls Unrat genügend Reue zeigen und Busse tun würde, eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft verspricht. Das bisherige Verhalten der Bürger entspricht dem typisch wilhelminischen Kodex im Kaiserreich. Nun beginnt Heinrich Mann die Situation satirisch zu überspitzen. Mit Hilfe von Rosa Fröhlich weitet Unrat seine Kontrolle über die gesamte Stadt aus. Diese wandelt sich von einer Varieté Sängerin zu einer Herrscherin ,der sozusagen reihenweise die Männer verfallen . Als Beispiel hierfür möchte ich den Konsul Breetpoot anführen. Dieser ruiniert seine eigene wirtschaftliche Lage und veruntreut die ihm anvertrauten Gelder seines Mündels von Erztum. Seine gesellschaftliche Achtung verliert er ebenfalls durch den Umgang mit Unrat , dem er sich unterwirft . Letztendlich fleht er Rosa Fröhlich sogar an mit ihm die Stadt zu verlassen. Heinrich Mann zeigt hiermit die bereits angesprochene Doppelmoral, in stark übertriebener Weise auf. Denn die gepredigte Moral entspricht meistens nicht den persönlichen Überzeugungen. Bezeichnenderweise sind es die Vermittler dieser Werte, wie Pastoren, Lehrer und die Polizei, die sich mit Unrat einlassen . Zu guter letzt werden die Moralisten wie der Oberlehrer Hübbenett zu Außenseitern . Die Villa Unrat wird zum Treffpunkt und Ziel der Gesellschaft. Es geht sogar soweit, dass sich einige in den Ruin stürzen um Rosa zu umbuhlen. Aufgrund der schwindenden Wertevorstellungen muss das bürgerliche Wertesystem geradezu einstürzen. Rosa Fröhlich übernimmt den gesellschaftlichen Rang der Konsulgattin. Doch zählen bei den Veranstaltungen nun nicht mehr der soziale Rang ,nur das Geld hat noch Wichtigkeit . Die Oberschicht verliert ihre Bedeutung. Es gibt hierzu den Ansatz, dass Heinrich Mann die Verführbarkeit des Volkes unter einem skrupellosen Verführer zeigen will, die ja im Nationalsozialismus ihr Höchstmass erreicht. Der Roman kritisiert die Herrschaft des Geldes ebenso wie die der moralischen Konventionen der Führungsschicht, zeigt allerdings auch kein positives Gegenbeispiel auf. Die Aufhebung der Schichten in der Villa Unrat zeigt nicht die Aufhebung der Kleinbürgermoral oder irgendwelche neuen Gedankenansätze, wie die durch die Industrialisierung aufkommende Arbeiterbewegung.
Vor allem übt Heinrich Mann mit seinem Roman Kritik an der gesamten Gesellschaftsstruktur im Kaiserreich, genauer gesagt gegen die führende Schicht der Patrizier, des Adels und des Großbürgertums.
Zu Beginn des Romans, ist die bürgerliche Welt noch in Ordnung: die sozialen Schichten sind voneinander getrennt, geistig als auch örtlich (Hafenviertel). Es gelten die wilhelminischen Ordnungsvorstellungen, z. B.: Die Vorherrschaft des Großbürgertums und die Sonderstellung des Adels und die daraus resultierende Klassenjustiz zeigt Heinrich Mann besonders deutlich bei der Gerichtsverhandlung auf.
Unrat verkehrt nicht in diesen höheren Kreisen, sieht sich aber dennoch als Verfechter ihrer Werte. Er stellt sich über das Volk und macht Jagd auf den Pöbel, der ihn mit dem Spottnamen „Unrat“ provoziert. So hinterhältig und gemein seine Zwangsmittel dabei auch immer sind – sie sind nichts als die verzweifelte Kompensation seiner inneren Schwäche und Ohnmacht. Letztendlich versucht er in einem ewigen und vergeblichen Kampf, die Anerkennung seiner falschen Autorität und Machtvollkommenheit zu erzwingen.
Der Gesellschaftsaufbau der Zeit, war statisch und hierarchisch aufgebaut. Es war kein, oder kaum Aufstieg möglich. Wie in diesem Roman gezeigt wird kann jedoch das Gegenteil, also der Fall, sehr schnell passieren.
Heinrich Mann rechnet in seinem Roman mit diesem Spießertum und seinen falschen Kunstbegriffen ab. Allerdings zeigt Heinrich Mann das politische System des Kaiserreichs und das System der Hansestadt Lübeck nicht in historischer Genauigkeit. Nur durch die satirische und bissige Art der Personen und Umstandsschilderung, bringt er indirekt Hinweise darauf wie es wirklich aussieht. Die Mitbürger der Zeit wussten daher durchaus was Heinrich Mann in seinem „Professor Unrat“ sichtbar machen wollte.