Deutsche Literatur 43
Schon in der satirisch-antifaschistischen Erzählung "Mario und der Zauberer" /1930/ aber auch in Reden und Aufsätzen hatte Thomas Mann vor der, die Kultur wie die Humanität bedrohenden, Gefahr des totalitären Nationalsozialismus und Rassismus gewarnt. In der Schweiz trat er 1936 mit einer offenen Kampfansage an das neue Regime hervor und steigerte diesen Kampf in den USA seit 1938 und vor allem während des Krieges zu leidenschaftlicher und erbittlicher Schärfe. Schon 1936 war ihm die deutsche Staatsangehörigkeit abgesprochen und sein Besitz in Deutschland beschlagnahmt worden. Die philosophische Fakultät in Bonn entzog ihm, die, einst von ihr verliehene Würde, des Ehrensdoktors. 1943 begann er sein persönliches Werk, von dem bekannt hat, dass es ihn mehr gekostet hat als jedes andere. Es war die unausgesprochene, radikale Abrechnung mit den Betrachtungen eines Unpolitischen und mit sich selbst. Es ist "Dr. Faustus - das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde" /1947/. Faust weißt dabei weniger auf Goethe hin als auf das reformatorische Zeitalter, jedoch versetzt in die 1. Hälfte des 20 Jahrhunderts und vor dem Horizont des Untergangs einer deutschen Epoche. Diese Symbolgestallt ist ein Musiker. Zugleich wird der Roman zur Auseinandersetzung mit Nietzsche, dessen Aufstieg Größe und Zusammenbruch dem Autor als Model dienten, ohne dass sein Name genannt wird. Der Autor erzählt nicht direkt.
Er stellt zwischen sich und den Leser einen fiktiven Erzähler, den Studienrat Zeitblom. So enthält der Roman 2 zeitliche Ebenen, die des fiktiven Chronisten und Biographen, der im Unterschied zu Leverkühn Verlauf und Katastrophe des Hitlerregimes miterlebt und seine Erfahrungen und Gedanken zu Gang und Katastrophe des Krieges immer wieder einfließen lässt. Die 2. zeitliche Ebene ist die zurückliegende tragische Geschichte Leverkühns. Zeitblom vermag weder die einsame tragische Genialität Leverkühns, dieses Helden unserer Zeit, der das Leid unserer Epoche trägt, wirklich zu begreifen, noch den Gang des Hitlerregimes anders als mit hilfloser Trauer und ohnmächtigem Entsetzen zu betrachten. Aus dem Biographen Leverkühs wird so zugleich ein Chronist der Hitlerzeit.
Thomas Mann hat ihn einmal als Parodie seiner Selbst bezeichnet.
Manns letzter und heiter amüsantester Roman war "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" /1954/. Erneut verbirgt sich der Autor hinter einen fingierten Erzähler in dem der Roman sich als Autobiographie ausgibt. Krull aus längerer Haft entlassen, berichtet über den bisherigen Verlauf seines Lebens. So erhält der Autor die Gelegenheit das ineinander vielfacher Sprach- und Stilschichten der Herkunft und dem Werdegang Krulls entsprechend ins Spiel zu bringen. Felix Krull verkörpert den listenreichen Dieb und die Schelme. Felix’ Freiheit lebt aus der Fülle des Möglichen und der Phantasie. Sie lernt nicht den Lebensernst, wohl aber Freiheit und Vergnügen des Spiels, das sich ihm auf der ständig wechselnden Bühne des Lebens in verschiedenen Rollen anbietet. Einen breiten und bedeutenden Raum im Gesamtwerk Thomas Manns beansprucht seine Essayistik, die er in Arbeiten und Vorträgen über Goethe, Tolstoj, Dostojevskij, Nietzsche, Wagner und viele andere in seiner Prosa erhob.