Deutsche Literatur 27
3. Inhaltsangabe.
In der Weihnachtserzählung Bergkristall dreht sich alles um die wunderbare Errettung des Kinderpaares Konrad und Sanna, das sich während eines heftigen Schneetreibens im Gebirge verwirt.
Der Ort des Geschehens ist das in einem Talkessel eingeschlossene und von der Welt so gut wie abgeschnittene Bergdorf Gschaid, das über die notwendigen Handwerke verfügt, aber von all den Veränderungen in der übrigen Welt keine Notiz nimmt. Der hohe Schneeberg Gars ist der Stolz der Bewohner und unterhalb des Gipfels führt ein Weg über den sogenannten Hals , eine Passhöhe , hinüber in den etwas belebteren Marktflecken Millsdorf. Von dort ist auch die Färberstocher und Frau des Schusters von Gschaid , die im Dorf als Fremde gilt, ebenso wie ihre Kinder Konrad und Sanna. An einem ungewöhnlichen warmen Heiligen Abend erlauben die Eltern, dass die beiden Kinder zu den Großeltern über den Berg nach Millsdorf gehen dürfen. Doch auf dem Heimweg verirren sich die Kinder im plötzlichen Schneefall. Sie verbringen die Nacht in einer Höhle und werden am anderen Tag von Bewohner des Dorfes in einer schier unendlichen Eiswüste des Berggipfels entdeckt und gerettet.
4. Interpretation des Werkes.
In den Erzählungen Granit , Bergkristall und Katzensilber stehen jeweils Kinder im Mittelpunkt, in Kalkstein und Turmalin sind „ Sonderlinge “ im Zentrum der Handlung, Bergmilch ist eine historische Novelle.
Die Erzählung ist im Herbst 1845 unter dem Titel Der heilige Abend erschienen. Stifter verarbeitet in der Erzählung eigene Erfahrungen von seinem Sommeraufenthalt in Hallstatt ( 1845 ) , wo er nach einem Gewitter zwei Kinder traf, die von ihrem Unterstand in einer Höhle berichteten.
In der Erzählung von Stifter wird die scheinbar idyllische Welt von überraschenden Gefährdungen durchzogen. In den ausweglosen Situationen, in welche die Protagonisten geraten und in denen das Gesetz der Natur teilnahmelos waltet, ist Rettung nur durch ein Wunder
möglich.
Aus Stifters Erzählung kann man eine Art Wetterkunde zusammenstellen – eine Darstellung eines Schneefalls in Bergkristall.
Aufbau der Erzählung:
1. Bericht über das Weihnachtsgeschehen und die Bräuche des Heiligen Abends
2. Topographie des Gebirges und der beiden Dörfer , sowie Beschreibung ihrer Sitten, Gebräuche und Unterschiede. – Ausführliche des Schneeberges.
3. Wandel der Jahreszeiten und Jahresgeschichte des Berges
4. Schilderung der Winterlandschaft während des Schneefalls und die weihnachtliche Rettungs- Heilsgeschichte.
Stifter wäre nicht Stifter, würde er die Erzählung sofort mit dem Geschehen beginnen. Er steigt ein mit einer Reflexion über das Weihnachtsfest und schwenkt dann auf die Landschaftsbeschreibung mit Schwerpunkt der beiden Täler und ihres Verbindungsweges und der Versuche, den eisigen Doppelgipfel über Gschaid, den Gars zu besteigen: „ Eines der schönsten Feste feiert die Kirke fast mitten im Winter , wo beinahe die längsten Nächte alle Fluren deckt, das Fest Weihnacht... , ... Mit dem Kirchenfeste ist auch einhäusliches verbunden. Es hat fast in allen christlichen Ländern verbreitet, dass man den Kindern die Ankunft des Christkindleins....als ein heiteres, glänzendes , feierliches Ding zeigt. “ ( S.163 ).
Diese Stifters Reflexion über das Weihnachtsfest ist in dieser Erzählung gross von Bedeutung. Stifter beschreibt nicht nur die christliche Tradition der Einwohner , sondern wird der Leser langsam in die Atmosphäre des Bergdorfes eingefürt.
Die Natur ist eine größerer Macht als die Menschen, die ihr ausgeliefert sind , aber wo die Menschen staunend in sie einfügen , finden die Menschen sich aufgehoben und werden
mitgetragen: „ Gegen Mittag sieht man von dem Dorfe einem Schneeberg, der mit seinem glänzenden Hörnern fast oberhalb der Hausdächer zu scheint, aber in der Tat doch nicht so nahe ist. Er sieht das ganze Jahr , Sommer und Winter , mit seinen vorstehenden Felsen und mit seinen weißen Flächen in das Tal herab .... ist der Berg der Gegenstand der Betrachtung der Bewohner , und er ist der Mittelpunkt vieler Geschichten geworden. “ ( S.167 ).
Das Leben der Bewohner ist mit der Natur , mit dem Berg verbunden. Das Dorf Gschiad, das unter dem Berg liegt, bildet eigene geschlossene Welt . Die Lebensweise der Bewohner ist durch die Tradition bestimmt. Jede Veränderung wird sehr schwer akzeptiert: „Daher bilden die Bewohner eine eigene Welt . Sie sind sehr stetig, und es bleibt immer beim Alten. “ ( S.166 ).
Aber da ist noch etwas anderes in dieser Erzählung, etwas sehr Anrührendes , sehr Zartes, sehr Weiches und Liebevolles . Achtsamkeit, Wertschätzung, Würdigung und Respekt.
Diese leise Wirkung, manchmal auch etwas sehnsüchtige Stimmung, die zugleich ein tiefes Einatmen unendlicher Ruhe , zeitlosen Friedens mit sich führt, strahlt eine geheimnisvolle Wirkung aus. Die Natur erzieht. Sie bildet. Sie bewirkt Reifung und Lernen. Sie ist eine Inspiration für das Verstehen: „ Wenn man so auf die Jahresgeschichte des Berges sieht , so sind im Winter die zwei Zacken seines Gipfels , die sie Hörner essen, schneeweiß und stehen ....Die Bewohner des Tales heißen die geringen Veränderungen große, bemerken sie wohl und berechnen an ihnen den Fortschritt des Jahres. “ ( S. 169 ).
Angesicht der Natur und Landschaft, von Einsamkeit und Stille, in die die Figuren in der Erzählung hineingestellt sind und in die auch der Leser hineingezogen wird, beginnt ein inneren Prozess in Gang zu kommen. Wie aus sich selbst heraus entsteht Wertverständnis. Stiffter erzählt nichts, er zeichnet mit Worten wie ein Maler. Die symbolhaften Farbdarstellungen und Lichterscheinungen sind in der Erzählung von großer Bedeutung. Stifters Bergkristall ist voll von Farbspielen, Lichterscheinungen, Wahrnehmungsperspektiven und glänzenden Dingen: „ Als die Kinder nach Ende des Schneefalles plötzlich den klaren Himmel, bedeckt mit Sternen sehen, werden zur Zeit im Dorf die Lichter an den Christbäumen angesteckt ....,die Kinder sahen ein Sternlein blitzen. “ ( S. 210 ).
Die Farben Weiß und Blau werden am häufigsten genannt: Weiß als Symbol für Angst , Bedrohung und Schrecken und Blau als Farbe des Trostes und Zuversicht , die aber für die Kinder doch schreckhaft erscheint: „ Die Kinder in .. das Gewölbe hinein und immer tiefer hinein. Es war ganz trocken, und unter ihren Füssen hatten sie glattes Eis. In der ganzen Höhlung aber war es blau, so blau, wie gar nichts in der Welt ist, viel tiefer und schöner blau als das Firmament, gleichsam wie himmelblau gefärbtes Glas. “ ( S.193 ).
„ Es war wieder nichts um sie als das Weiß , und ringsum war kein unterbrechendes Dunkel zu schauen ...aber es rings um sie nichts als das blendende Weiß, überall Weiß. “ (S. 193 ).
Die Rote findet sich in Bergkristall zweimal und erscheint für die Kinder als Zeichen der Zuversicht und Errettung – das rote Morgenlicht und die rote Fahne der Retter: „ errötete der Schnee um die Kinder, als wäre er mit Millionen Rosen überstreut worden... Es war kein Feuer , es war eine rote Fahne , die geschwungen wurde.“ ( S. 210).
Das Ereignis rund um die Verirrung der Kinder im Eis hat das soziale Miteinander im verstärkt. Es bedeutete völlige Integration der Mutter und er zwei Kinder: „ Die Kinder waren von dem Tage an erst recht das Eigentum des Dorfes geworden, sie wurden von nun an nicht mehr als Auswärtige , sondern als Eingeborene von Gschaid. “ ( S. 217 ).