Der Tod der Liebenden im Meer- Interpretation
Der Tod der Liebenden im Meer
Das Gedicht „Der Tod der Liebenden“ von Georg Heym hängt eng mit dem vorher interpretierten Gedicht zuasmmen, wobei das Meer hier von großer Bedeutung ist. „Heym Faszination durch alles Maritime ist von Rimbaud bezogen, dem Dichter des „Trunkenen Schiffs“ und der „Ophelia“, beides kehrt als Motiv und bis in metrische Imitationen hinein bei Heym immer wieder.“( Reich-Ranicki 1994. S. 309), siehe Gedichte im Anhang.
Da die Interpretation dieses Gedichtes am deutlichsten hinsichtlich Rimbauds Schaffens erfolgt, werde ich eine Interpretation aus dem Internet bezüglich Rimbauds Einfluß auf den Heymschen Schaffen zur Hilfe nehmen.
Ophelia und die Wasserleichen:
Die Rimbaud-Rezeption im deutschen Expressionismus
von Barbara Glöckler
1. Der "Mythos Rimbaud"
Arthur Rimbauds Leben (1854-1891)
Schon sein kurzes aber bewegtes Leben fand in der jungen Dichtergeneration der Wilhelminischen Ära Bewunderer und Nachahmer. Seine Ausbruchversuche aus dem bürgerlichen Elternhaus, seine für das jugendliche Alter herausragende literarische Begabung, seine skandalumwitterten Beziehungen zu den Pariser Künstlerkreisen und vor allem sein rigoroser Bruch mit jeder Form literarischer Betätigung 1873, gefolgt von seiner nicht minder skandalumwitterten Abenteurerexistenz in Nordafrika schürten den "Mythos Rimbaud". Die Darstellung seiner Biographie in Deutschland machte den "poéte maudit" zum Vorbild der Expressionisten im Sinne von Nietzsches "neuem Menschen", der für ein aktives, erlebnisintensives Dasein in Afrika dem Elfenbeinturm der Kunst und der bürgerlich geprägten europäischen Zivilisation den Rücken kehrte.
Die Dichtung Rimbauds
Doch hätte sein Leben kaum diese Beachtung gefunden, hätte Rimbaud in den zwei Jahren schriftstellerischer Aktivität nicht ein Oeuvre geschaffen, das für die europäische Dichtung neue Maßstäbe verlangte. Sein Frühwerk, so auch die "Ophélie" (1870), sind durchaus dem symbolistischen Stil der "Parnasse"- Autoren verhaftet. Doch bereits im "Bateau ivre" (1871), das Rimbauds bekanntestes Gedicht sein dürfte, realisiert er in noch strenger äußerer Form, was er in den "lettres de voyant", den "Seher"-Briefen an seinen Freund und Lehrer Isambard, vom modernen Schriftsteller auch theoretisch fordert: Völlige Selbsterfahrung bis hin zur Selbstzerstörung durch extreme sinnliche Eindrücke und Empfindungen sollen den Autor befähigen, aus den Abgründen seiner Seele neue, authentische Formen und Inhalte zu schöpfen, die auf den Leser wiederum intensiv sinnlich wirken können. In den "Illuminations" (1872) sowie in "Une saison en enfer" (1873) sprengt Rimbaud dann auch konsequent die Normen der traditionellen Poetik.: Seine "poémes en prose" setzen sich über die Forderung nach Kohärenz der Einzelbilder innerhalb eines Werkes ebenso hinweg wie über formale Kriterien der Reim- und Gedichtformen. Dem konventionellen Gegenstand der Dichtung, dem Bedeutsamen ("Wahren") und Ästhetischen ("Schönen") setzt er ganz im Sinne Baudelaires die Schockwirkung abstoßender ekelerregender Bilder und überrealer expressiver Farben bis hin zur Synästhesie entgegen. Stilistisch führt Rimbaud als erster die absolute Metapher in die Dichtung ein, die später bei der sog. "hermetischen Lyrik" zum wesentlichen Verfahren wird.
Die Rezeption Rimbauds in Deutschland
All dies sind formale, stilistische und inhaltliche Neuerungen, an die die Expressionisten zu ihrer Zeit anknüpfen konnten. 1907 ermöglichte die erste Übertragung ins Deutsche durch den k.u.k. Dragonerleutnant Karl Klammer (erschienen unter dem Pseudonym K.L.Ammer) einem breiteren Publikum die Auseinandersetzung mit Rimbauds Gesamtwerk. Wie verschieden Rimbaud von der jungen Dichtergeneration im Deutschland der Vorkriegszeit rezipiert wurde, und wie seine Ansätze verändert und weitergeführt wurden, soll im Folgenden am Beispiel seines Gedichtes "Ophélie" (deutsch: "Ophelia") aufgezeigt werden. Aufgrund der thematischen Verwandtschaft werde ich auch häufiger auf "Le bateau ivre" (deutsch: "Trunkenes Schiff") Bezug nehmen. Das Ophelia-Bild der Zeit Rimbauds stützte sich in erster Linie auf den Dramentext Shakespeares und auf Illustration dazu. Es erfreute sich großer Popularität, zum einen war es von den Malern des Symbolismus verstärkt aufgegriffen worden, zum anderen war in breiten Teilen der französischen Bevölkerung der Gipsabdruck eines lächelnden Mädchengesichtes (Abbildung) beliebt, den man angeblich einer unbekannten Toten aus der Seine abgenommen hatte. Rilke erwähnt die "Inconnue de la Seine" sogar in seinen "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge".
2. Die Wasserleichenpoesie des Expressionismus
Rimbauds Gedicht "Ophélie", genauer gesagt Karl Klammers Übertragung , desselben löste bei den deutschen Expressionisten eine wahre "Schwemme" sogenannter "Wasserleichenpoesie" aus: Die bedeutendsten Werke aus diesem Kontext sind von Georg Heym "Die Tote im Wasser" (1910) , "Ophelia" (1910) und "Tod der Liebenden im Meer" (in zwei Fassungen), von Gottfried Benn "Schöne Jugend" (1912) aus dem Morgue-Zyklus, von Paul Zech "Wasserleiche", von Armin T. Wegener "Die Ertrunkenen" (1917), bei Georg Trakl findet man Anlehnungen an das Motiv in "Wind, weiße Stimme" und in "Westliche Dämmerung" (1911). Bertolt Brecht kann sicherlich nicht mehr zu den Expressionisten gerechnet werden, soll aber an dieser Stelle dennoch Erwähnung finden. Zum einen, weil bei keinem Autor die "Wasserleiche" so zahlreiche Bearbeitungen erfahren hat, (genannt seien hier: "Ballade vom Liebestod", "Gesang aus dem Aquarium", "Dunkel im Weidengrund" und die "Legende der Dirne Evlyn Roe" ), zum anderen weil sein Gedicht "Vom ertrunkenen Mädchen" (1920) das Bild noch einmal um neue Aspekte bereichert, den Motivkreis damit aber auch abrundet und schließt. In diesem knapp bemessenen Rahmen möchte ich mich vor allem auf Georg Heyms "Die Tote im Wasser" konzentrieren, das früheste und gleichzeitig ein charakteristisches Beispiel der expressionistischen "Wasserleichenpoesie". Andere Variationen des "Ophelia"-Stoffes sollen als Vergleich in die Analyse und Interpretation mit einbezogen werden.
3. Georg Heyms Gedicht "Die Tote im Wasser"
als Beispiel expressionistischer Wasserleichenpoesie
Die Entstehung
Georg Heym greift im August 1910 erstmals wieder auf das Motiv der Wasserleiche zurück. Daß ihm dabei Rimbauds Gedicht als Vorlage bzw. als Inspirationsquelle diente, wird bei dem vier Monate später fertiggestellten Gedicht "Ophelia" nachweisbar, da Übereinstimmungen in der Darstellungsweise (Ophelia als eine vom Zeitlichen entbundene Figur) und im Inventar der Szene (Abend, Schilf, Ophelias Brust, Nest, Weide etc.) andere Quellen weitgehend ausschließen lassen.
Der Titel
Schon der Titel "Die Tote im Wasser" gibt einen Hinweis, wie Heym sein Vorbild modifizierte: es ist nicht die Rede von Ophelia, die bei Rimbaud noch als Person mit individuellem Schicksal gezeigt wird: zwar ihrer Zeit entrückt ("schon mehr als tausend Jahre sind es, / daß sie, ein bleich Phantom, die schwarze Flut hinzieht" (Vers 5f.), aber dennoch in ihren lokalen ("Norwegs Gletscher", V.20), personalen ("ein Prinz", V.27) und damit historischen Kontext eingebettet. Bei Heym fällt ihr Name nicht, die Tote bleibt auch im weiteren Verlauf des Gedichts anonym. Über ihr Schicksal, ihre Todesursache erfährt der Leser nichts genaues, vereinzelte Hinweise lassen bestenfalls wage Schlüsse zu. Im Gegensatz zu Heyms "Ophelia" wird noch nicht einmal nach den näheren Umständen gefragt. Diese Tendenz zur Entindividualisierung der Ophelia-Figur läßt sich in allen Gedichten dieses Themenkreises nachweisen; am extremsten vielleicht in Benns "Schöne Jugend", wo in erster Linie die Ratten, die die Leiche zerfressen, Gegenstand der Darstellung sind, nicht das Opfer. Der Motivgehalt des Ophelia-Stoffes wird hier allein durch die zwei Begriffe "Mädchen" und "Schilf" evoziert. Ophelia wurde zur Wasserleiche.
Die Szenerie
Das Herauslösen der Opheliagestalt aus ihrem Kontext ermöglicht den Autoren einen freien Umgang mit dem Gegenstand. So versetzen beinah alle Expressionisten ihr Bild vom ertrunkenen Mädchen in die Gegenwart: Bei Heym und in einigen Gedichten Brechts wird die Großstadt zur Kulisse des Geschehens, Benn nimmt der Szene durch anatomische Fachtermini jeden sagenhaften Anstrich. Beim Gedicht "Die Tote im Wasser" zeigen die ersten zwei Strophen eine Hafenlandschaft am frühen Abend. Das Inventar, Speicher, Dampfer, Mastkräne erinnern stark an Heyms Großstadtgedicht "Berlin I" , es ist die für ihn bezeichnende negative Darstellungsweise der Stadt als lebensfeindlichem zerstörerischem Raum, die technischen Errungenschaften der Zivilisation stehen für Tod und Untergang. Auch hier ist das Bild menschenleer, und selbst die Hinweise auf menschliches Leben sind entweder Abfallprodukte, oder sie wirken "tot" (V.3), "morsch und im Verfall" (V.4) oder "wie ein verbrannter Wald" (V.2), ganz im Gegensatz zur Tradition des Ophelia-Bildes, das ja wie schon erwähnt, der Toten eine auffällig belebte Umgebung entgegenzustellen pflegte. In seinem späteren Gedicht "Ophelia" reicht Heym dann den vitalistischen "Urwald" und den "Moloch" der Städte aneinander. Die Bedrohlichkeit der Stadt kommt dort explizit zum Ausdruck im Bild vom "Kran mit Riesenarmen" (V.32), "ein mächtige Tyrann" (V.33). In der "Toten im Wasser" wird diese Atmosphäre subtiler hervorgerufen durch die negative Konnotation der Farbworte "grau" (V.1), "Rot" (V.2), "schwarz" (V.3) und "weiß", wobei auf letztere an späterer Stelle genauer eingegangen wird, durch den akustischen Eindruck "Dumpf tönt der Schall" (V.5), durch Verben wie "stieren" (V.4) oder "reiben" (V.7) und natürlich durch die Todesmetaphorik.
Die Darstellung der Leiche
Bei dem Blick über das Hafengelände fällt das Auge des Betrachters, der jedoch nie selbst als lyrisches Ich in Erscheinung tritt, auf die Abwässer, die "wie eine weiße Haut" (V.7) im Hafenbecken treiben; ein Kunstgriff Heyms: Zum einen greift dieser Vergleich vor auf die Leiche im weißen Tanzkleid, zum anderen wird die Aufmerksamkeit des Lesers in einem schon beinahe filmischen Verfahren von der Totalen des Hafens durch eine Verengung des Bildausschnittes wie in einem Zoom zur "Nahaufnahme" von Details gelenkt. "Staub, Obst, Papier" (V.9), der Abfall der Stadt wird bezeichnenderweise "ganz" (V.10) aus der Kanalisation geschwemmt, mit der Reihung "Rauch, Ruß, Gestank" (V.7) aus "Berlin I" auch metrisch übereinstimmend. Aus dem Fluß des ursprünglichen Ophelia-Motives wurden Abwasserröhren, die ins Hafenbecken münden. Den drei Objekten folgen drei weitere: "Ein weißes Tanzkleid" (V.11), "Ein nackter Hals" und "ein Gesicht" (V.12). Auf dieselbe Ebene mit Kot und Müll gesetzt, tritt die Wasserleiche zunächst stückweise ins Bild, schon allein dadurch ein Zeichen der Verwesung und des Verfalls. Auch im weiteren Gedicht erscheint sie mehr in Einzelteilen ("Augen" V.15 und "dicker Bauch" V.22), seltener als ganze Gestalt. Dies ist ebenfalls ein Verfahren zur Entindividualisierung, die Benn in "Schöne Jugend" durch die anatomische Präzision der Begriffe noch überspitzt ("Speiseröhre" V.3 und "Zwerchfell" V.4). Erst in der vierten Strophe kommt die Leiche "ganz" (V.13) ins Blickfeld, ihr folgt der Betrachter bis zum Ende des Gedichtes.
Die Verwendung der Farbe Weiß
Bei der Beschreibung der Toten nennt Heym viermal das Adjektiv "weiß", das schon bei Rimbaud die Farbe Ophelias ist. "Weiß" steht grundsätzlich für Reinheit, für das Freisein von Sünde im religiösen Verständnis. Kommt nun hinzu, daß es sich bei der "weißen" Person um ein Mädchen handelt, erweitert sich der Symbolgehalt durch das Bild der Jungfrau und Braut, bei einer Toten dementsprechend um den ganzen Motivbereich des "gefallenen Mädchens". Dabei darf nicht vergessen werden, daß Weiß gleichzeitig immer auch schon die Farbe des Todes, der Totenblässe war. Im Bild der "weißen Lilie"(V.2) bei Rimbaud findet diese Doppeldeutigkeit gleich zweifach Niederschlag. Heym setzt das Weiß zunächst schlicht als die Farbe des Kleides, das die Tote trägt. Aber gerade das Tanzkleid paßt lückenlos in das Bild, verweist es doch implizit auf einen Partner (wie das Brautkleid auch), sowie durch das unverbindliche Amüsement des Tanzens auf eine flüchtige Liebesbeziehung. Dies kann wohl als wage Andeutung auf den Grund für ihren Tod gelesen werden. An späterer Stelle, wenn es heißt "Ihr dicker Bauch entragt / Dem Wasser groß, zerhöhlt" (V.22f.) festigt sich diese Vermutung, ihr schwangerer Körper weist sie als "Gefallene" aus. Doch Heym beläßt es nicht bei dieser beinahe romantisch-geheimnisvollen Vorstellung, er demontiert sie schon im Vorraus durch die "weiße Haut" auf der Kloake, durch das "bleiweiß" (V.12) und den "fetten Glanz" (V.11) zerstört er das Bild vom schönen, ästhetischen Tod, wie er in der bildenden Kunst bei der Darstellung des Ophelia-Motives gebräuchlich ist. Heym entwickelt das Symbol des Tanzkleides sofort weiter: im Vergleich in Vers 14 wird es zum Segel, die Leiche zum Schiff verdinglicht, vermutlich in Anlehnung an Rimbauds "Bateau ivre". Mit dieser Metamorphose geht eine umfassende Veränderung im Gedicht einher, die sich auch in einem anderen Reimschluß in den Strophen fünf und sechs manifestiert.
(
http://www.hausarbeiten.d e/faecher/hausarbeit/lit/ 20981.html)