Das Werk „Lieutenant Gustl“ - Handlung und Interpretation

Das Werk „Lieutenant Gustl“ - Handlung und Interpretation
Kurze Handlung

Der drei- oder vierundzwanzigjährige Offizier gerät nach einem Konzertbesuch im Gedränge an der Garderobe mit einem Bäckermeister aneinander, ohne dass die Umstehenden etwas davon bemerken. Der Bäckermeister bringt Gustl zum Schweigen, indem er seinen Säbel festhält. Weil Gustl sich dadurch in seiner Standesehre beleidigt fühlt, den Bäckermeister, als einen Zivilisten, aber nicht zum Duell fordern kann, glaubt er sich umbringen zu müssen. Die Nacht verbringt Gustl, abwechselnd panisch und sentimental, im Freien; morgens begibt er sich zu einem Abschiedsfrühstück ins Kaffeehaus. Dort erfährt er, dass den Bäckermeister noch in der Nacht der Schlag getroffen hat; damit ist der einzige Zeuge seiner Demütigung dahin, und flugs entschließt sich Gustl zum Weiterleben. (Fliegl 2005, 118)
Interpretation des Werkes

Diese Novelle, von einem Leutnant (französisch: lieutenant, deshalb noch Schnitzlers Name Lieutenant) der österreichisch-ungarischen Armee, Namens Gustl, ist nicht durch die Handlung interessant. Die ist nicht besonders verwickelt; ich würde sagen, eher einfach. Ein Mensch in Krisensituation, wenn man diese Situation als kritisch nennen darf. Für solch einen Mann könnte sie die größte Ehrenkränkung, die ein Soldat erleben kann, bedeuten. Seine militärische Ehre ist verletzt. Für ihn bedeuteten diese zwei Wörtchen „dummer Bub“ eine Beleidigung, schwerste im seinen Leben, dazu noch von einem Zivilisten. Wie erfährt der Leser, was Gustl in diesen ein paar Stunden erlebt? Ganz einfach: Der Leser ist sozusagen im Gustls Kopf anwesend. Vom Anfang an bis zum Ende der Geschichte. Und das ist zugleich das schwierigste an dieser Erzählweise, dass es für den Leser bis zum Ende glaubwürdig bleibt. Schnitzler hat es so brillant gemacht, dass der Leser nur mit Gustls Gedanken, Gefühlen und Empfindungen die ganze Geschichte auskommt, aber trotzdem hat er völligen Überblick über das Geschehen. Er betrachtet die Außenwelt nur durch Gustls „Augen“. Der Gustl spricht nicht viel mit anderen Leuten, aber seine Gedanken sind ganz rasend geworden. Er kann sich nicht beruhigen, er schwankt immer zwischen „Totsein“ und weiterleben. Mal ist er ein willenstarker Soldat, mal ein junger Mensch ganz von der Angst beherrscht. Er befindet sich im „Selbstmordrausch“. (Schnitzler 1900) Er versucht immer wieder seine Gedanken zu ordnen, es gelingt ihm erst im Kaffeehaus, wenn er schon weiß, dass sein Beleidiger tot ist. Der Gustl ist in dieser Zeit desorientiert aber der Leser im Gegenteil; er erfährt alle Angaben von Gustls Aufenthaltsort und Zeit durch Gustl. Der aber, ist verwirrt, auch wenn er weiß wo er gerade ist, er kennt sein Ziel in Wien nicht. Und er hat keinen konkreten Plan. Er lebt für den konkreten Moment. Er irrt durch nächtliches Wien herum. Der Leser ist aber durch konkrete Orts- und Zeitangaben informiert.
Er irrt in Wien und seinen Kopf und dabei offenbart er Gedanken, die er vielleicht vorher in seinem Leben auch nicht zugelassen hat. Wir bekommen durch diese Überlegungen viel von Gustls Persönlichkeit zu wissen. Wir können ihn am Anfang als einen selbstbewussten, jungen Mann charakterisieren. Er benimmt sich im Theater arrogant, ungeduldig. Seine Gedanken richten sich dort nur auf Frauen, die im Theater sind. Sein Verhältnis zu Frauen ist auch ein wichtiger Teil seiner Persönlichkeit. Er sieht die Frauen nur als eine Ware, er sucht nur Liebesabenteuer bei ihnen: „Ob so ein Mensch Steffi oder Kunigunde heißt, bleibt sich gleich“, „Vorigen Sonntag war's zum letzten Mal (...)Ach Gott, das ist doch das einzige reelle Vergnügen...“ (ebd.) Manchmal ist er dabei auch ganz lächerlich, z.B. als er an seinen Bekannten denkt, der wegen Eifersucht Selbstmord begangen versuchte, sagt er: „Unglaublich, weswegen sich die Leut' totschießen!“
Weiterer Teil seiner Persönlichkeit bildet seine Beziehung zum Militär. Er sieht sich in der Armee geborgen und sicher, aber zugleich ein fester Teil der Hierarchie: „Das ist ja lauter Unsinn mit Amerika und quittieren, und du bist ja viel zu dumm, um was anderes anzufangen“ (ebd.). Er respektiert im seinen Leben nur die militärischen Instanzen: Herrn Oberst, sein Übergeordneter Kopetzky. Dabei ist er kriegerisch gelaunt: „Etwas hätt' ich gern noch mitgemacht: einen Krieg“. (ebd.) Bei ihm ist auch Antisemitismus zu spüren. Er hasst die Juden in der Armee: „Überhaupt, daß sie noch immer so viel Juden zu Offizieren machen – da pfeif ich auf'n ganzen Antisemitismus!“, aber auch in der Gesellschaft: „ ...da sind auch die Hälfte Juden... nicht einmal ein Oratorium kann man mehr in Ruhe genießen...“ (ebd.)
Wie ich schon erwähnte, Schnitzler kannte noch vor Entstehung von „Gustl“ seinen Zeitgenossen Freud. „Persönliche Erfahrungen des Autors als Nervenarzt kamen hinzu. Unmittelbares, formales Vorbild aber war für Schnitzler ein französischer Roman „Les lauriers sont coupés“ von Edouard Dujardin.“ (Schoeller, in: KnLL)
Bekannt war Schnitzler zur Entstehungszeit der Novelle Sigmund Freuds Traumdeutung, die im Herbst 1899 erschienen war; der Ablauf von Gustls Monolog folgt denn auch streckenweise der Logik des Unbewußten, der „Verdrängung“ peinigender Inhalte - die Todesangst, der Gedanke an die Mutter, aber auch latente homoerotische Neigungen. Gustls Sprunghaftigkeit entspricht dabei weitgehend der Abfolge „freier“ Assoziationen im psychoanalytischen Prozess. (Fliedl 2005, 122),
Ich versuche anhand Freudschen „Instanzen Modell“ (ein Modell des psychischen Apparats des Menschen) und Gustls Gedankengängen ein Vergleich zu schaffen zwischen Menschen von Freud und Helden von Schnitzler (Gustl).