Das Thema „Tod und Sterben“ als das Böse in der Kinderliteratur
2.3 Das Thema „Tod und Sterben“ als das Böse in der Kinderliteratur
An verschiedenen Stellen ist bereits angeklungen, dass die Kinderliteratur eine durchaus hilfreiche Rolle in der Sterbeerziehung spielen kann. Wie im Umgang mit allen anderen Medien, ist der medienpädagogische Einsatz der Kinderliteratur jedoch von der Begleitung und Unterstützung einer Erziehungsperson abhängig, zu der das Kind Vertrauen hat.
Für die Entwicklung eines Verhältnisses vom Bösen in der Literatur besteht für das Kind die Notwendigkeit, Erfahrungen mit Sterben und Tod machen zu können. Daraus lässt sich zum einen ableiten, daß es ein Fehler sei, Kinder von Sterbe- und Trauerprozessen fernzuhalten, weil man sie „schützen“ will.
Im Zuge eines zielgerichteten Einsatzes der Kinderliteratur in der Sterbeerziehung sollte man sich zunächst ihre medienpädagogische Funktion verdeutlichen. Ein kritisches Literaturverständnis beinhaltet demnach vier Aspekte, die für das Böse von Bedeutung sind:
1.) Literatur bemüht sich um Aufrechterhaltung und Wiedergewinnung von Sprache an den Punkten, an denen die Erfahrung des Bösen kaum noch zur Sprache kommt. Werden Erfahrungen mit dem Bösen, Sterben, Tod und der Trauer jedoch ins Abseits der gesellschaftlichen Bewusstseins geschoben, verliert sich auch die Sprache, um diese Erfahrungen zu bewältigen. Der Umgang mit dem Bösen, Streben, Tod und Abschied in der Literatur nutzt Sprache also dermaßen, dass diese Erfahrungen und Gefühle kommunikativ werden. Eine Literatur, die sensibel und kritisch auf die heutige Zeit und die bestehenden gesellschaftlichen Umstände reagiert, wird sich nicht damit abfinden können, dass das Böse, Sterben, der Tod und die Trauer einfach spurlos aus der Sprache verschwinden. Sie wird vielmehr versuchen, diese Erfahrungen als menschliche Grunderfahrungen zu reklamieren und sie zur Sprache zu bringen.
2.) Literatur versucht dem Prozess der schwindenden Auseinandersetzung mit dem Bösen entgegenzuwirken, indem ein Prozess kommunikativer Auseinandersetzung initiiert wird. Der Schreibende entdeckt folglich zunächst für sich die Thematik „Böse“, holt sie aus der gesellschaftlichen Tabuzone und stellt seine persönlichen Erfahrungen und Gedanken dem gesellschaftlichen Denken gegenüber, wobei der entstehende text den Status des Spiels, des Entwurf und des Modells hat. Durch die Veröffentlichung wird der innere Kommunikationsprozess nach außen erweitert, da sich nun der Leser selbst in der Thematik beschäftigt. Dann beinhaltet der kommunikative Aspekt der Literatur die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen.
3.) Literatur ist bemüht fehlende konkrete Erfahrungen durch modellhafte zu ersetzen. Das Bemühen vieler Erzieher, Kinder von der Thematik des Bösen fernzuhalten, ist bereits angesprochen worden, es führt zu einem kindlichen Erleben des Bösen durch die mediale Verzerrung in den Massenmedien.
4.) Schließlich versucht Literatur, angesichts möglicher Grenzensituationen Identität zu stabilisieren und zu entwickeln. Indem sie auch die Schattenseiten, die Schwierigkeiten, Nöte und Ängste von Kindern schildert und zugleich deren Träume, Hoffnungen und Freuden nicht verschweigt, ermutigt sie den Leser, seine Erfahrungen aufzugreifen und in sein Selbst zu integrieren, für die er bisher keine Sprache hatte und die nicht in sein Selbstkonzept passten. Literatur kann auf diese Weise dem Kind zu einer neuen Sicht seiner Selbst verhelfen und macht ihm Mut, seine Identität nicht als etwas Statisches, sondern als etwas Dynamisches zu begreifen.
Das Böse in der Literatur stellt die symbolischen oder realistischen Geschichten Sprach- und Handlungsmuster zur Verführung, liefert Entwürfe zur Realitätsbewältigung, dient der Informations-, Erfahrungs- und Wissenserweiterung, fördert die Phantasie, durchkreuzt tabuisiertes Denken und eingefahrene Sprachmuster.